Eine Oper ohne Frauen – Harry Kupfer und Kirill Petrenko retten das männliche Genie in Hans Pfitzners „Palestrina“

Uns hat die Inszenierung des bewährten männlichen Dreigestirns von Harry Kupfer (Regie), Hans Schavernoch (Bühnenbild) und Yan Tax (Kostüme) gefallen, weil sie einerseits plakativ vorgeht mit den Symbolisierungen von Stalin und Schostakowitsch als Papst Pius IV. (Alfred Reiter)  und Palestrina (Kurt Streit, der Star des Abends) und der New Yorker Freiheitsstatue als Metapher für den Aufbruch der Jungen in einer neuen Tonsprache , andererseits aber viele kleine versteckte Kostbarkeiten enthält, die hier nur einmal mit dem Ende des ersten Aktes verdeutlich werden sollen. Tatsächlich glaubten viele Zuschauer, Palestrina sei tot – denn das Leben des Renaissancekünstlers und das Libretto sind denn doch zu unbekannt – und vermuteten in dessen Wiederaufleben im dritten Akt ein Double. Was Kupfer uns hier in seiner Interpretation mitteilt, ist, daß der Leib des Palestrina noch lebt, aber sein Genius mit der Vollendung des großen Werkes der einen Nacht verschied. Von Palestrina also musikalisch nichts mehr zu erwarten ist. Jetzt trägt auch er die Einheitskleidung mit roten Paspeln, denn ohne seinen Genius ist er eingereiht in die Allgemeinheit der Menschen.

Um was es hier eigentlich geht? Um einen musikalischen Wettstreit wie bei den Meistersingern, aber auf höherer Ebene, in der der Musik die geistige Botschaft des Christentums übermittelt wurde. Das hatten die gregorianischen Choräle über Jahrhunderte geleistet, wurden aber nun durch die aufkommende Polyphonie übertönt, die in ihrer Mehrstimmigkeit den christlichen Text nicht mehr verständlich ließen, was Papst Pius IV. zum Verbot der Polyphonie motivierte, dem aber der habsburgische Kaiser Ferdinand widersprach. Palestrina sollte also nun den Kompromiss zusammenkomponieren, in dem trotz Mehrstimmigkeit die christliche Glaubensbotschaft hörbar bleibt. Er will nicht. Er kann nicht. Irgendwann singt er, daß der Papst zwar ihm das Komponieren befehlen könne, aber nicht seinem Genius. Denn der ist seit Lukrezias Tod abwesend.

Machtmenschen glauben, daß man mit Druck und Machtausübung auch eine Komposition erzwingen kann. Und so scheitern sie alle, der Papst und Morone, der Kardinallegat (Johannes Martin Kränzle lautstark), der die Komposition einer neuen, alle Bedürfnisse befriedigenden Messe durch Palestrina durchsetzen soll, erst durch Überreden im Guten, dann durch den Wurf in das Gefängnis im Schlechten. Hieraus, aus diesem Grundkonflikt, speist sich die ganze Oper. Genie und Zwang, freier Genius und unfreier Machtkalkül. Irgendwo geistert dort auch Nietzsche herum und bei der Musik, auf deren bewundernswert durchlässige Hörbarkeit durch den männlichen Dirigenten Kirill Petrenko wir noch zu sprechen kommen, auch Richard Wagner. Und dazu paßt gut, daß auch neun männliche, längst verstorbene Meister der Tonkunst ihn mahnen, die Messe zu schreiben: „Ein letzter Ton noch fehlet zum klingenden Akkord.“ Das sind Sprüche für Genies.

Warum wir auf das ’Männlich’ solchen Wert legen. Einfach weil dies ein männlicher Grundkonflikt bleibt, so lange Genie den Männern, den einsamen Geistern zugesprochen wird, die ihren Genius füttern müssen durch die Inspiration mittels Frauen. Das alles hat schon etwas sehr Abgeschmacktes, etwas vom Heroenkult vergangener Zeiten, was Kupfers Inszenierung elegant überspielt und mit dem Schluß des ersten Aktes ist die Oper eigentlich aus, wenn man sie nur als Rangelei um Künstler und politischen Druck versteht, was die großformatigen Porträts  von Stalin und Schostakowitsch am Anfang ja nahe legten.

Dabei geht es im zweiten Akt erst richtig los. Hier kommt die Drehbühne voll zur Geltung. Vorne in Rot amphitheaterhaft ein Vorlesungssaal, – Ort des tridentinischen Konzils, das nach Luther die katholische Kirche auf den richtigen Weg bringen soll, wozu auch Beschlüsse zur Musik in der Kirche gehören, der Palestrinas neue Messe den Weg weisen soll, –  zur Seite jetzt die durch Sicherheitsschleusen bestückte Eingänge, hinten ein Café, in dem Protagonisten um die Macht rangeln, sich gegenseitig und jeden Neuankömmling beobachten, ins Gespräch zu ziehen versuchen, mit vorsichtigen oder deutlichen politischen Anspielungen, mit Aggressionen, Provokationen und Gewalt. Das ist ein gar lustiges Spiel und abwechslungsreich inszeniert. Sagen wir es gleich. Alle Mitwirkenden sind darstellerisch und als Typen hervorragend besetzen und durchgehend wird außerordentlich gesungen, weshalb niemand herausgehoben wird, aber das hohe Niveau, auch das des Chores, herausgestellt werden soll.

Im dritten Akt bündeln sich der erste und zweite Akt zur Manifestation der neuen, durch Palestrina geschaffenen Musik. Seine Messe wird in der Sixtinischen Kapelle gesungen, aber sein Schüler Silla ist längst Richtung Florenz entschwunden, wo die Polyphonie hochgehalten, während in Rom Palestrina als „Retter der Musik“ vom Papst und den Klaqueuren  gefeiert wird. Wie gesagt, sein Leib, denn der Genius blieb im ersten Akt zurück. Ein Leben für die Kunst. Und ein Ringen um ihre Verwirklichung, die das Innere nach Außen transportieren muß. Daß solches Gehabe auf der Bühne diese Frauengruppe im Pausenfoyer als männliche Larmoyanz langweilte, weil sie den Kult der einsamen Genies dauernd selber ertragen müßten, sei nur am Rande, aber durchaus symptomatisch erwähnt.

Kommen wir zur musikalischen Bewältigung durch den Dirigenten, der das Frankfurter Museumsorchester zu staunenswerten Einlagen brachte. Eigentlich kann man die Musik gar nicht beschreiben. Wie man gleichzeitig dumpfe, ja trostlose Klänge hören kann, und einem doch das Gehörte schwelgerisch vorkommt und dieser Hauch von Spätromantik über allem schwebt, der nichts von Strauß hat, aber viel Nachwagnerianisches und vor allem einem dauernd Mikolajus Ciurlionis in den Sinn kommt, dann die Choralform wahrnimmt, aber die Mehrstimmigkeit genauso hört. Es ist ein Potpourri an ganz unterschiedlichen musikalischen Einfällen, die Petrenko in eine Musikstrom lenkt, der nicht aufhört. Er ist es schließlich, der Musik hier erzwingt, nicht so sehr der Komponist, meinen wir, sondern der nicht nachlassende Energieschub aus dem Orchestergraben. Daß das nicht ohne den Komponisten ginge, versteht sich von selbst. Wir sind gespannt auf die an diesem Abend vorgenommene Einspielung auf CD für OehmsClassics, nämlich darauf, was uns die Musik auch ohne die opulente Bühne des wahrlich altmeisterlichen Regiestrategen Harry Kupfer sagt.

Folgevorstellungen: 11., 20., 25., 28. Juni und 5. Juli
www.oper-frankfurt.de
Bitte informieren Sie sich dort über das vielfältige und spannende zusätzliche Pfitznerprogramm bis zum 7. Juli  in Form von Gesprächsrunden und Aufführung anderer Werke.

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