Eine Hass-Liebe – Michael Moores Dokumentarfilm “Kapitalismus: Eine Liebesgeschichte”

Zu den verschuldeten Hausbesitzern, die zum Auftakt von “Kapitalismus: Eine Liebesgeschichte” ihr geräumt werden, zählt Michael Moore noch nicht. “Wir sind hart arbeitende Mittelklassebürger, die versuchen, zu überleben.”, schnieft eine Interviewte in die Kamera. Solche Bilder schreien nach Zuschaueridentifikation. Wer versteht sich schon als faulen Besserverdiener, der in Saus und Braus lebt? Ein von der Bank Enteigneter bringt auf den Punkt, worum es in “Kapitalismus: Eine Liebesgeschichte” geht: “Die Leute, die alles haben und die, die nichts haben” stehen sich gegenüber. Und zwar nicht zum Händeschütteln. Moore sagt dies nicht, sondern bringt mit der ihm eigenen Geschicklichkeit im Stellen von Fang- und Suggestivfragen seine Interviewpartner dazu, es für ihn auszusprechen. Wie seine vorherigen Filme seit “Bowling for Columbine” ist Michael Moores neues Werk mehr filmisches Pamphlet als Dokumentation. In den USA tobt laut Moore ein Überlebenskampf: Banken gegen Familien, Reich gegen Arm, Kapitalismus gegen – wogegen eigentlich? Mit der Antwort hält sich “Kapitalismus: Eine Liebesgeschichte” bedeckt. Die Antwort, welche Moore gen Ende der 127 Filmminuten gibt, ist eine Ausflucht: Demokratie. Somit setzt Moore ein politisches System gegen ein wirtschaftliches. Die Frage nach der Alternative zum Kapitalismus bleibt offen. Pessimistischer formuliert: Nichteinmal der Vorzeigeliberale Michael Moore kennt eine Antwort.

“Ist Kapitalismus eine Sünde?“, fragt der Dokumentarfilmer einen Priester seiner Heimatstadt Flint. Oh ja und der Gottesmann geht noch weiter: “In irgendeiner Form wird Gott vom Himmel steigen und dagegen vorgehen.“. Kapitalismus ist das radikale Böse, verkündet ein anderer Priester. Kapitalismus müsse eliminiert werden. Es gibt noch einen anderen -ismus, deutet der Regisseur in “Kapitalismus: Eine Liebesgeschichte” an. Nur ein paar absurde Behauptungen gegnerischer Politiker, Barack Obama sei Sozialist, hört man. Tiefer wird das Thema Kommunismus nicht analysiert. Dabei drängt es sich anhand Moores Filmthema permanent auf. Doch wie die von ihm angeprangerten Konzernbosse kehrt der Dokumentarfilmer unangenehme Fragen schon mal unter den Teppich. Das antidemokratische System des Kommunismus lässt sich schwerlich als Alternative zum in “Kapitalismus: Eine Liebesgeschichte” als antidemokratisch proklamierten Kapitalismus hinstellen. Zwei Filmstunden lang konzentriert sich Moore auf das, was er am Besten kann: soziale Missstände aufzeigen und das Leid der “kleinen Leute” anprangern.

Den Filmemacher selbst scheint eine Hassliebe an den Kapitalismus zu binden, dessen Fehler anzuprangern zu seiner Lebensaufgabe geworden scheint. “Zwanzig Jahre habe ich General Motors gewarnt, ohne Erfolg.”, beklagt Michael Moore. Wovor sagt er nicht, nur die Unternehmenspleite wird im Film verkündet. Das kommt davon, wenn man auf Moore nicht hört. “Jemand muss seine Stimme erheben.”, sagt Moore im Interview und ruft vor der Kamera ruft, er habe interessante Vorschläge. Nur hört man die nie. “Das System basiert auf Propaganda, die das Volk überzeugt, ein schädliches System sei gut.”, erläutert Moore massenmediale Manipulation der Bevölkerung. Paradoxerweise zählt Moores Stimme längst selbst zu den manipulativen Filmemachern. Er polemisiert viel und durchleuchtet wenig. In “Kapitalismus: Eine Liebesgeschichte” fährt er mit einem Geldtransporter zu Banken und fordert das Geld der Bürger zurück. Eine typische Michael-Moore-Nummer, unterhaltsam aber sinnlos. Nichteinmal das Wachpersonal nimmt den Protest des bekannten Filmemachers noch ernst.

In “Roger & Me” schlachtet eine Frau vor laufender Kamera aus Geldnot ein Kaninchen. Eine unangenehme Szene, die zeigt, was Armut tatsächlich bedeutet. In Moores neueren Werken undenkbar. Ein Millionenpublikum will nicht Bugs Bunnys Blut fließen sehen. Die Enteigneten können dank des Engagements ihrer Nachbarn wieder in ihr Haus ziehen. Happy End für die Unterprevilegierten, wie beruhigend. “Niemand ist Gott so wichtig wie die Armen.”, verspricht “Kapitalismus: Eine Liebesgeschichte”. Die Nachbarn werden ´s schon richten, wenn nicht, macht Jesus das. Ein unbequemer Dokumentarfilm, der den Finger in die Wunde legt, sieht anders aus. Dazu gibt es eingängige Musik und Sprüche. Keep on rocking in the free world. Yes, we can. Cool. Von der Unangepasstheit Moores ist traurig wenig geblieben. “Kapitalismus: Eine Liebesgeschichte” frustriert – weil Moore mit seiner Kritik Recht hat, aber mehr auf Show-Effekte als auf hintergründige Argumente setzt. Auch dazu gibt es den passenden Schlusstitel: You ´ve come a long way, baby.

Titel: Capitalism: A Love Story – Kapitalismus: Eine Liebesgeschichte

USA 2009

Genre: Dokumentarfilm

Start: 12. November

Regie und Drehbuch: Michael Moore

126 min.

Verleih: Concorde

www.concorde-film.medianetworx.de

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