Eine flog über das Kuckucksnest – Porträt einer Psychose: Gamma Bak setzt sichi m Berlinale Forum mit ihrem „Schnupfen im Kopf“ auseinander

„Es ist, wie auf einem Drogentrip zu sein ohne Drogen genommen zu haben.“, erklärt Bak ihrer Schwester das Gefühl während einer Psychose. Vor neun Jahren begann Gamma Bak mit der Arbeit an ihrem Dokumentarfilm. „Schnupfen im Kopf“ entstand im Stil einer Kompilation aus Videobriefen Baks an Freunde und Verwandte und Selbstinterviews, in welchen sie mit außergewöhnlicher Introspektive über ihre Erkrankung spricht. Größer als das unmittelbare physische Leiden scheint der psychische und emotionale Druck, verursacht durch das Wissen um die Belastung, welche die Erkrankung für alle Beteiligten darstellt. Ohne ihre Medikamente zu leben ist eine permanente Belastung für Gamma und ihre Angehörigen und Freunde. Mit ihnen zu leben bedeutet für Gamma ein Dasein, welches sich kaum noch wie Leben anfühlt. „Die Wirkung von starken Neuroleptika ist so wie man sich die Zustände von manipulierten Menschen in Science-Fiction-Romanen vorstellt.“, erklärt Bak:“Ich spüre fast nichts mehr. Und ein Gespür für die Gefühle anderer zu haben, ohne selbst fühlen zu können, ist sehr schwer.“

Man bemerke nicht, wie viel man mitmache, erzählt der ehemalige Partner der Regisseurin, wie sehr man sich durch den erkrankten Menschen, besonders wenn er einem nahe steht, überfordern lasse. Baks in schlichten Bildern erzählt filmische Autobiografie beleuchtet die Krankheit nicht nur aus der individuellen Perspektive der indirekt und unmittelbar von ihr Betroffenen. „Schnupfen im Kopf“ rührt auch an das oft vernachlässigte Thema der sozialen Stigmatisierung psychisch Kranker und der seelischen Misshandlungen, welche ausgerechnet die an der Seele Leidenden erdulden müssen. „Ich hätte nie gedacht, dass es so ist. Das es heute noch so aussieht.“, beschreibt eine Angehörige Baks ihren Eindruck von der Psychiatrie, in welche Bak eingewiesen wurde. Doch, es sieht so aus. Schmutz, verwirrte Patienten, Betreuer, die sich wie Wärter gebärden, mangelnde Versorgung, Gleichgültigkeit. Nicht alles davon wird explizit in „Schnupfen im Kopf“ beschrieben, aber fast jeder, der eine moderne psychiatrische Klinik von Innen gesehen hat, sei es als Besucher oder Patient, weiß um die Zustände welche dort herrschen. Nicht selten ist das Schlimmste die Abscheu und Kälte, welche psychisch Kranken fast überall begegnet. Irgendwie sind „die“ selbst Schuld, scheinen die Gesunden zu glauben. Sie könnten normal sein, wenn sie nur wollten. Aber sie sind es nicht, aus Trotz, aus Schwäche oder Böswilligkeit. „Gemma hatte etwas gefunden, was ihr für alles einen Grund gab.“, sagt einer ihrer Bekannten im Interview: „Einen Grund, nicht mehr zu Studieren, etwas nicht zu schaffen, sich anders zu benehmen.“

Solche Worte liefern mehr Erkenntnisse über das weit verbreitete Bild psychischer Erkrankungen und der von ihnen Betroffenen. Sie verleihen der Reportage eine Eindringlichkeit, welche weit über die Sentimentalität der üblichen Psychiatrie-Filme hinaus geht, gerade, weil die Psychiatrie als Ort nur unsichtbar präsent ist. Vielleicht hatte Gemma Bak jenen Grund in der Erkrankung tatsächlich gefunden. Gesucht hat sie ihn nicht. Ihr berührendes Debütwerk im Berlinale Forum dokumentiert eine tiefer gehende Suche: nach dem „Schnupfen im Kopf“ und dem Versuch, mit ihm zu leben.

Titel: Schnupfen im Kopf

Berlinale Forum

Land/Jahr: Deutschland/Ungarn 2010

Genre: Dokumentarfilm

Regie und Buch: Gamma Bak

Laufzeit: 93 Minuten

Bewertung: ***

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