Ein Portrait ist kein Selfie – Die Ausstellung ICH in der Frankfurter Schirn zeigt Unterschiede und Alternativen

ICH, Ausstellungsansicht © Schirn Kunsthalle Frankfurt, 2016, Foto: Norbert Miguletz
Mit dem politischen Aufbruch in den 1960er-Jahren und den Angriffen auf verkrustete Strukturen der Gesellschaft wurde auch die Selbstbespiegelung des Künstlers verdächtig. Diese Zeit erweist sich im Rückblick als Keimzelle der Praktiken von heute. Für die Selbstdarstellung brachte sie eine Befreiung und die Erweiterung ihrer Möglichkeiten, gesucht wurde nach Darstellungsformen, die die Personen als Konstrukt ihrer Umwelt und ihrer Beziehungen dazu materialisierte. So portraitierte sich Beuys in der Gestalt eines Filzanzuges, Pawel Althammer verpackte seine Kleidung nebst Tascheninhalt in Klarsichtfolie, Robert Morris portraitiert sich mit „Brain Portrait“ in Form eines  Elektroenzephalogramms usw. Auf die Darstellung des Gesichtes wird zunehmend verzichtet: Arnulf Rainer übermalt es, Thorsten Brinkmann versteckt es in einem Karton und Günter Förg schreitet kopflos eine Treppe herab.

In den neueren Arbeiten geht die Abstraktion deutlich weiter: Ryan Gander wartet mit konzeptuellen Selbstbildnissen auf, die uns statt seiner Porträts die Glaspaletten mit den Farbresten zu sehen geben, welche angeblich dafür verwendet wurden. Und Alicja Kwade präsentiert uns 22 Phiolen mit den 23 chemischen Elementen, aus denen jeder menschliche Körper besteht und nennt das Selbstporträt. Den ironischen Höhepunkt bildet eine Arbeit von Wurm, der sich in Form von geschätzt 35 „Essiggurkerln“ darstellt, ein Motiv, das es sogar auf das Plakat der Ausstellung gebracht hat. Die Ausstellung läuft bis zum 29. Mai.

Interessierte Besucher wissen aus den Medien, dass sie in der Schirn zeitgleich eine große Miro-Ausstellung erwartet. Wer jetzt abwinkt, weil ihm die vielen Miro-Reproduktionen auf Postkarten oder aus den Wanddekorationen in den Arztpraxen schon über sind, soll sich nicht abschrecken lassen. Es sind überraschende, sehr großformatige Arbeiten auf der Basis unterschiedlichster Materialien bis hin zu Teerpappe oder putzartigen Untergründen, zusammengeliehen wie immer in der Schirn, aus den renommiertesten Häusern der Welt.

Und wer dann immer noch Kapazitäten frei hat, sollte den Weg ins Städel nicht scheuen. Dort erwartet sie mit der Ausstellung „Maniera“ florentiner Spätrenaissance vom Feinsten. Mit den Künstlern Pontormo und Bronzino im Zentrum werden Meisterwerke des Manierismus präsentiert, Produkte und Ausdruck auch der verfeinerten Lebensführung am Hofe der Medici.Besonders spannend ist aber die Reproduktion von Teilen aus Pontormos Tagebuch, das einen ungewöhnlichen Einblick in den Alltag eines solchen Künstlers vermittelt. 

Wie immer empfiehlt sich ein vorbereitender Besuch auf der Homepage der Museen, die es mit ihren digitalen Tutorials und Ausstellungsfilmen erleichtern, sich in der Ausstellung konzentriert dem zuzuwenden, was den Besucher persönlich am intensivsten anspricht.
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