Ein Gemälde von Leonardo wiederaufgefunden und als Original bestätigt – Da Vinci Forscher entdecken die Urfassung der „Madonna in der Felsengrotte“, sichern das Entstehungsjahr 1478 und stellen das Buch dazu auf der Leipziger Buchmesse vor

Ernst Ullmann, der inzwischen verstorbene Ordinarius für Kunstgeschichte der Universität Leipzig, und durch viele im E.A. Seemann erschienen Monographien italienischer Künstler über Fachkreise hinaus auch einem breiteren Publikum bekannt, hatte seinen 1980 erschienenen „Leonardo da Vinci“ 1998 wiederaufgelegt. Dort wird auf Seite 233 für den 25. April 1483 ausgeführt: „Leonardo erhält gemeinsam mit den Brüdern Evangelista und Ambrogio de Predis den Auftrag zur ’Felsengrotten-Madonna`, es entsteht die erste Fassung (Paris).“ Erst im Jahr 1506 heißt es wieder: „Juni, Leonardo ist wieder in Mailand, er beginnt von Schülern unterstützt die zweite Fassung der ’Felsengrottenmadonna` (London)“. Die Gemälde nebst Ausschnitten folgen auf den Seiten 74 bis 79. Zu den Vorstudien Leonardos führte Ullmann damals aus, daß Vorzeichnungen in Turin, im Louvre und in London vorhanden seien.

Als die nun als Original bezeugte Tafel als möglicher Entwurf und potentieller da Vinci für die großen Gemälde bekannt wurde, hatte Ernst Ullmann zusammen mit dem Wiener Restaurator Ernst Lux mehr als zehn Jahre intensiv nach der Originalität geforscht. Lux kommentiert das bewegende Ergebnis ihrer Arbeit: "Die kleine Holztafel hat mich lange begleitet, und lange habe ich mich mit allen verfügbaren Methoden – gewissermaßen als Advocatus diaboli – bemüht zu beweisen, daß sie nicht von Leonardos Hand stammt. Ich habe mich noch nie in meinem Leben so gerne eines Besseren belehren lassen."

Wenn man sich die nun in dem Band: Ernst Ullmann, Ernst Lux, Ein wiedergefundener Leonardo da Vinci. Die Urfassung der Felsengrottenmadonna, Karolinger Verlag Wien – Leipzig 2010 vorgebrachten Beweisführungen anschauen wird – was wir erst tun werden – wird sicher eine der zu beantworteten Fragen sein, weshalb es schon 1578 das Sujet gibt, das als ’Felsengrottenmadonna` erst 1483 offiziell und in Mailand in Auftrag gegeben wurde (Pariser Fassung). Denn 1478 lebte und arbeitete Leonardo noch in Florenz, zudem war es ein ’heißes` Jahr für Florenz. Am 26. April war die Pazzi-Verschwörung, bei der Guiliano de` Medici ermordet wurde; damals hieß der Malerfürst Botticelli und malte im selben Jahr ’Primavera` und ’Geburt der Venus`.

Erst einmal folgen wir gerne der nun entschlüsselten bewegten Geschichte der kleinen Tafel seit seiner Entstehung. „Es ist möglicherweise von Florenz im 18. Jahrhundert an die österreichische Grafenfamilie Attems gelangt. Dort ist es nach und nach in Vergessenheit geraten. Bei seiner letzten öffentlichen Ausstellung in den 20er Jahren galt es noch als zeitgenössische Kopie eines Leonardo-Gemäldes. Es war damals als Leihgabe der Grafen Attems in der Landesbildergalerie in Graz ausgestellt. Erst seine jetzigen Besitzer haben mit Hilfe naturwissenschaftlicher und kunsthistorischer Methoden den Nachweis erbracht, daß es sich um einen echten Leonardo handelt.“ Die Studien der beiden Experten Ullmann und Lux liegen nun also im erwähnten Buch des Karolinger Verlags Wien vor und wurden soeben am 18. März 2010 erstmals der Öffentlichkeit vorgestellt.

Bei Gemälden der damaligen Zeit könnten Vorzeichnung unter der Malerei und Veränderungen während des Entstehungsprozesses durch heutige Technologien eine Zuschreibung stützen. So haben Ullmann und Lux auch die durch hochauflösende Infrarot Reflektogramme deutlich gemachten Vorzeichnungen unter der Malerei gefunden, die den sicheren Hinweis geben, daß einzelne Details von Entwurfszeichnungen auf die Grundierung der Tafel übertragen wurden. Die Veränderungen im Entstehungsprozeß lassen unzweifelhaft auf die Autorenschaft Leonardos schließen.

Solche Vorarbeiten, führte Ullmann aus, seien in Florentiner Werkstätten üblich gewesen, vor allem wenn es sich, wie bei der Pariser Tafel der Felsengrottenmadonna, um ein in Format, Komposition und Gedankengehalt so reiches und zugleich kompliziertes Werk handele: "Die einer sehr durchdachten, streng geometrischen Regeln folgende Komposition und das geistige Programm müssen in einer genauen, im Maßstab wesentlich kleineren Studie, vorbereitet worden sein, die wohl auch Voraussetzung für die Auftragserteilung war", schrieb Ullmann.

„Die gründliche naturwissenschaftliche Untersuchung des Concetto und dessen enger inhaltlicher Bezug zu Florenz lassen an einer Datierung von Anfang 1478 kaum Zweifel. Der endgültige Auftrag für die eigentliche Felsengrottenmadonna wurde am 10. Januar 1478 vergeben, mit der Aufforderung, ein Altarbild für den Palazzo Veccio zu schaffen. In der Beratung zum Auftrag, die im Dezember 1477 stattfand, wurde ein "modello" erwähnt. So ist auch zu verstehen, daß es schon bald nach der Auftragserteilung eine erste Zahlung an Leonardo gab.“

Das alles sind Hinweise, daß das rätselhafte und ikonographisch mehrschichtige Motiv der Felsengrottenmadonna tatsächlich in Florenz entwickelt worden ist, was auch ein neues Licht auf das Bildpersonal wirft. „Die ursprüngliche Bestimmung der Felsengrottenmadonna war Florenz, die Knaben im Bild sind neu gedeutet“, heißt es dazu. Denn da bisher als Auftraggeber von 1483, Die Bruderschaft der Unbefleckten Empfängnis in Mailand, für deren Altar die Felsengrottenmadonna bestellt, geliefert und bezahlt wurde, galt, waren alle Interpretationen des Gemäldes auf diese abgestellt. Ullmann liefert nun für die Urfassung von 1478 eine neue Bildklärung, in der er die Knaben im Concetto und damit auch die in der Pariser Fassung der Felsengrottenmadonna neu deutet: „Das von der Mutter behütete und umsorgte Kind unter Marias rechter Hand, ist Jesus. Der Knabe vor dem Engel Uriel ist Johannes. Damit habe Leonardo ein Motiv gefunden, das der großen Verehrung der Stadt Florenz für Johannes den Täufer gerecht wurde. Zugleich habe er eine Allegorie gemalt, die anschaulich machen soll, wie Johannes in Jesus den Heiland erkennt. Die weisende Geste des Erzengels unterstreicht diese Erleuchtung des Johannesknaben.“

Ernst Ullmann, Ernst Lux: Ein wiedergefundener Leonardo da Vinci. Die Urfassung der Felsengrottenmadonna, Karolinger Verlag Wien – Leipzig 2010. Originalausgabe, zweisprachig deutsch-englisch, 160 Seiten, 97 Abbildungen, € 34,90, ISBN 978 3 85418 1354

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