Ein brillanter Comic zu anzüglichen Mundart-Gedichten – oder umgekehrt

Alles klar, hier gilt es also, sich den Abbildungen zu widmen, und damit beginnt die Reise. Ein Wirbel, ein Orkan an Eindrücken, Brüsten, Augen – Blicken! Ein Paar, kein junges, das sei angemerkt, geht sich über 15 Seiten aus dem Weg, obwohl sie zusammen sind – auch wenn die Pointe „hosd as ned xeng?“ nicht auf den ersten Blick schlüssig wird, die Bilder sind eindeutig. Herrlich. Mal ganz anders rum. Es ist nicht, als würde man einen japanischen Comic zu lesen versuchen – die Kodierung bei Artmann/Fröhlich ist vertraut, aber eben nicht leicht zu entschlüsseln. Als sähen wir einen Tatort im Rotlicht-Milieu unter Wasser. Die zweite Bildgeschichte ist komplett ohne Worte verständlich, eine wunderschöne, dunkle Loser-Fabel, sehr heutig, sehr frech. (Mein zwölfjähriger Sohn, der mich an dieser Stelle beim Lesen und Lachen antraf, entlieh sich das Bändchen zur seinerseitigen Lektüre und gab es mir erst vorgestern zurück).

Sind Sie überzeugt? Noch nicht? Vielleicht noch ein paar Worte zu den Künstlern; Artmann (1921-2000) liebte das Sprachspiel und verhalf unter anderem dem Dialektgedicht in Österreich zum Durchbruch. Er entwickelte 1953 eine „Acht-Punkte-Proklamation des poetischen Actes” aus der die erste drei Punkte hier zitiert seien:

„ 1. Der poetische Act ist jene Dichtung, die jede Wiedergabe aus zweiter Hand ablehnt, das heißt, jede Vermittlung durch Sprache, Musik oder Schrift.

2. Der poetische Act ist Dichtung um der reinen Dichtung willen. Er ist reine Dichtung und frei von aller Ambition nach Anerkennung, Lob oder Kritik.

3. Ein poetischer Act wird vielleicht nur durch Zufall der Öffentlichkeit überliefert werden. Das jedoch ist in hundert Fällen ein einziges Mal. Er darf aus Rücksicht auf seine Schönheit und Lauterkeit erst gar nicht in der Absicht geschehen, publik zu werden, denn er ist ein Act des Herzens und der heidnischen Bescheidenheit”¦“

Walter Fröhlich, bekannt für die Gestaltung des Unanständigen (in der Kunst) und begnadeter Comic-Zeichner, hat mit seinen Interpretationen der Artmann-Gedichte eine eigene Kategorie erschaffen, die noch einen Titel sucht. Mundart-Comic wäre zu wenig, Miniatur-Graphic-Novels vielleicht?

Schauen Sie selbst und lassen Sie sich verzaubern.

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H. C. Artmann, 7 Gedichte, gezeichnet von Walter Fröhlich, 87 S., Milena Verlag, März 2011, 17,90 €

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