„Drum hab ich mich der Magie verschrieben…“ – Zauberhafte Bilder: Noel Daniels Sonderband „Magic, 1400s – 1500s“ im Taschen Verlag

„Throughout the ages, man has sought to look behind the veil that hides him from tomorrow.

And through the ages, certain men have looked into the polished crystal and seen…“

(Nightmare Alley)

Die erste Illusion ist die, vor dem Eingang eines Vaudeville-Theaters zu stehen. Frisch und strahlend leuchten die Abbildungen, welche Herausgeberin Noel Daniel in aufwendiger Recherche zusammengestellt hat. Seinen Nimbus als außergewöhnliche Buchpublikation verdient „Magic“ aufgrund der Bilder. Beginnt man zu lesen, verfangen auch die in englisch, französisch und deutsch verfassten Texten, Bilderklärungen und biografischen Hintergründen zu klangvollen Namen wie Harry Houdini, Alexander Herrmann, Robert Houdin oder Carter The Great. Sie vertreten beispielhaft drei Variationen der Bühnenmagie. Der escape artist – nur unzureichend übersetzbar mit Entfesselungskünstler, der Gedankenleser oder Mentalist, der klassische Magician oder Bühnenillusionist. In ihren hintergründigen Texten verfällt Noel Daniel nicht in Verklärungen eines Metiers, welches durch Spirtisten, angebliche Wunderheiler und Propheten keinen makellosen Ruf genießt. Bereits Daniels letzte opulente Sonderausgabe „The Circus“, ebenfalls im Taschen Verlag erschienen, zeichnete sich durch einen präzisen, entromantisierenden Blick hinter die Kulissen der Schaustellerkunst aus.

„That ol ´ black magic has me in its spell

That ol black magic that You weave so well

Icy fingers running down my spine

That same old witchcraft …“

(Billy Holliday)

„To please and cheat the Sight“ benennt Ricky Joy, selbst angesehener Magier, im Titel seiner Einleitung das Ziel der Zauberkunst. Die Bühnenmagie begann als Budenzauber, ausgeübt von Taschenspielern und Wanderdarstellern. Die Täuschung des zahlenden Publikums ist so altbewährt wie der Hütchentrick. Im Kapitel „From Black Magic to modern Magic“ kann man die Taschenspielerei im 15. Jahrhundert auf dem Gemälde „Der Zauberkünstler“ von Bosch bewundern, heutzutage auf dem nächsten Straßenfest. „Three card Monte“ oder „Find the Lady“ heißt der Hütchentrick, wenn er mit Spielkarten ausgeführt wird. Die Dame findet man nie. Sie hilft dem Magier, in der Frühzeit des Metiers auf der Spielkarte, in der goldenen Ära Mensch geworden auf der Bühne. Zauberkunst ist ein zelebriertes Tromp de l ´oeil, eine elegante Täuschung eines Publikums, welches sich gerne täuschen lässt. Heute ist es unter professionellen Zauberern verpönt, die Illusionen als echt auszugeben. Zu Anfangszeiten der Magie war der Glaube an deren Echtheit unabdingbar. Zauberer konnten Salamander aus Feuer geboren erschaffen und Geister beschwören, glaubte bis ins Spätmittelalter die einfache Bevölkerung. In den Wunderkammern hoher Herrschaften fanden sich Horn des Einhorns, Drachenzähne und Riesenknochen. „Dr. Faust“, der kühne Herausforderer Christopher Marlowes, nicht der zweifelnde Gelehrte Goethes, gibt das damals vorherrschende Bild des Zauberers wieder. 1584 enthüllte Reginald Scot im frühesten bekannten Buch über Zauberkunst „The Discovery of Witchcraft“ Magie als Betrug und erklärte geschickte Illusionen. Aus war der Zauber noch lange nicht. „Magic“ erblühte, als ihre Vorführer nicht mehr die Verdammung als Hexer zu fürchten hatten und Aufklärung und wissenschaftlicher Fortschritt die Sehnsucht nach Übersinnlichem steigen ließen.

Eine Dame verschwindet

Gleich auf der ersten Seite verwandelt sich eine Schöne im Glassarg vor des Lesers Augen in ein Skelett. Verführung, Tod und Teufel verleihen der Magie ihren Reiz. „Develish Deception“, teuflische Trugbilder, sind nach dem Titel des ersten Kapitels Quelle der Wunder. Beelzebub und seine gehörnten und geflügelten Helfer lugen auf den Plakaten in Daniels Vorwort hinter den Zauberkünstlern hervor, die vorgeblich die finsteren Mächte beschwören. Mephisto und seine Verbündeten sind die stummen (Ver)Führer durch die Kapitel von „Magic“ – acht, natürlich, eine mystische Zahl. Satans stumme Begleiter sind der als Skelett oder Schädel auf den altertümlichen und neuzeitlichen Anzeigetafeln symbolisierte Tod und holde Weiblichkeit. Eine reizende Assistentin ist oft das wichtigste Requisit der Bühnenmagier. Für den Beherrscher des Übersinnlichen geht sie in die Luft oder löst sich in selbige auf, wird enthauptet und zersägt, manchmal mehrfach pro Abend. Den Zauberstab hält sie hingegen selten in der Hand. „Magic“ ist eine Männerdomäne, in der Frauen meist assistieren. Mehr Komplizin als Handlangerin, hängt das Gelingen der Illusion entscheidend von ihr ab. Harry Houdini verdankte frühe Show-Erfolge der Mitwirkung seiner Partnerin auf und jenseits der Bühne, der Schaustellerin Bess Rahner. Seinen Bühnennamen, unter dem er weltberühmt wurde, hatte Houdini von Jean Eugene Robert-Houdin entliehen. Der im 19. Jahrhundert für seine lebensecht erscheinenden Automaten berühmte Zauberer wird heute hauptsächlich als Namenspatron Houdinis erinnert. Robert-Houdin trug entscheidend dazu bei, Magie in Europa, Russland und den USA als populäre Unterhaltungskunst zu etablieren. Das fin de siecle wird durch Robert-Houdin und andere „Masters of The Golden Age“ zur Blütezeit der Magie, das gleichnamige Kapitel zum prächtigsten in „Magic“.

In den Vierzigern verlagerten sich die Vorführungen zunehmend in Nachtclubs und Vaudeville-Theater. Das Kino zeigte aufregendere Illusionen, Burlesque glorifizierte Damen, statt sie verschwinden zu lassen, Fernsehen brachte Taschenspielerei ins Wohnzimmer. „Magic“ endet mit dem Glauben an die Echtheit der Magie. In den Fünfzigern waren höchstens Esoteriker überzeugt, Zeugen des Übersinnlichen zu werden. Magie ist heute rar geworden, nicht zuletzt, da sie untrennbar mit der Bühne verbunden ist. Nur hier kann sie im Kleinen bezaubern. Ein Kaninchen mit eigenen Augen aus dem Zylinder springen zu sehen, ist beeindruckender als das Verschwinden des Taj Mahal im Fernsehen. Moderne Magier locken meist mit Gigantomanie: bombastische Shows oder Tricks, die als physische Extremleistungen faszinieren, nicht als Illusion.

„The fact has nothing to do with seeing it happen –

now You see him, now You don ´t – that ´s the only thing that ´s real.“

(Tom Stoppard)

Der fatalsten Verlockung der Magie widersteht Noel Daniel: “Magic“ verrät sein Sujet nicht, indem es dem Zauber seinen Zauber nimmt. Faszination entsteht durch das Rätsel, wie der Trick gelungen ist, eine letzte Unklarheit in einem abgeklärten Zeitalter. Die Verblüffung macht die Vorstellung reizvoll. Das Publikum weiß, dass mehr auf der Bühne vor sich geht, als ihr Auge erfasst. Spiegel, Nebel, doppelte Böden, präparierte Dolche. „Magic“ holt den Zauber der untergegangenen Ära der großen Bühnenmagier in in bestechender Schönheit zurück. Einem Kartendeck gleichen die ersten und letzten Seiten in „Magic“. Sie machen den Bildband zu einer unwiderstehlichen Einladung zur visuellen Zaubershow. Ziehen Sie eine Karte, irgendeine.

Titel: Magic, 1400s – 1950s/ Autor: Noel Daniel/ Verlag: Taschen/ Jahr: 2009/ Sprachen: Englisch, Franzöisch, Deutsch/ Seiten: 650

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