„Dosenfleisch“ zur Eröffnung – Gruseliger Start der Autorentheatertage

Szene mit Tino Hillebrand, Katharina Ernst, Dorothee Hartinger und Daniel Jesch aus dem Stück "Dosenfleisch" von Ferdinand Schmalz unter der Regie von Carina Riedl. © Burgtheater, Foto: Reinhard Werner

Eine wesentliche Veränderung hat sich bei den Stücken der Langen Nacht der Autoren ergeben. Bisher traf eine Jurorin oder ein Juror die Auswahl unter den eingesandten Stücken, die dann in Werkstattinszenierungen präsentiert wurden. In diesem Jahr wurde der Alleingang durch die Arbeit einer vierköpfigen Jury ersetzt.  Die neu entdeckten Stücke werden als Uraufführungen vorgestellt, in Gemeinschaftsproduktionen des Deutschen Theaters mit dem Burgtheater Wien und dem Schauspielhaus Zürich, und in die Spielpläne der Theater aufgenommen.

Eine der Entdeckungen ist „Dosenfleisch“ von Ferdinand Schmalz. Der Künstlername des 30jährigen Autors aus Graz ist Programm. Er hat eine Trilogie mit kulinarischen Themen verfasst. Der erste Teil, „Am Beispiel der Butter“, als Gastspiel des Burgtheaters Wien ebenfalls beim Festival zu sehen, brachte Schmalz den Retzhofer Dramapreis ein und die Ernennung zum Nachwuchsautor des Jahres 2014. Der dritte Teil, „Herzerlfresser“, hat im kommenden Herbst am Schauspiel Leipzig Premiere und in der kommenden Spielzeit auch am DT.

Mit der Uraufführung „Dosenfleisch“, in einer Koproduktion des DT mit dem Burgtheater, eröffneten die diesjährigen Autorentheatertage. Schauplatz des Stücks ist eine Raststätte, ein Ort, an dem es kein Bleiben gibt, nur das vorübergehende Ausbremsen von Bewegung während einer Fahrt. Bühnenbildnerin Fatima Sonntag hat diesen Durchgangsraum ohne gesellschaftliche Bedeutung treffend gestaltet, einerseits unfreundlich und kalt durch die Metallstreben oben, andererseits geheimnisvoll schmuddelig mit herumstehenden Kisten und Sperrmüllsofa, und auf anrüchige Weise einladend durch das Open-Schild mit rotem Pfeil und blinkenden Glühbirnen.

In der Mitte der Bühne thront die Schlagzeugerin Katharina Ernst. Sie beginnt und beendet das Stück mit eindrucksvollen, lautstarken Soli und unterlegt die Vorstellung mit vibrierendem Rhythmus.

Ein Fernfahrer (Daniel Jesch) strandet in der Raststätte. Zunächst beschreibt er einen Falter, der gegen die Windschutzscheibe klatscht und dessen Innereien auf dem Glas verschmieren. Dann verliert ein Lastwagen vor ihm seine Ladung, Dosen mit Fleisch poltern auf die Autobahn, platzen auf und erzeugen einen schmierigen Dunst. Der Fernfahrer, der sich darauf gefreut hatte, bald zu Hause zu sein, kann durch den fettigen Belag auf der Scheibe nichts mehr sehen und ist gezwungen, die Nacht auf dem Parkplatz der Raststätte zu verbringen, von wo aus er die seltsamen Geschehnisse an diesem Unort übersehen und kommentieren kann.

Der Fernfahrer, wie auch die übrigen Personen, sprechen in einer artifiziellen Kunstsprache, manchmal in Versen, manchmal konstruieren sie auch Wortspielereien, in denen „Führerscheinheilige“ oder „Geschwindigkeitsbeschränkte“ in Erscheinung treten. Alles klingt sehr bedeutsam wie in einer griechischen Tragödie.

Auf dem Sofa räkelt sich die Raststättenbetreiberin Beate (Dorothee Hartinger). Sie ist alles andere als eine freundliche Wirtin, und sie hat gute Gründe, ihren Arbeitsplatz zu hassen, denn dort, wo ihr Elternhaus gestanden hat, verläuft jetzt die Autobahn. Für diesen gewaltsamen Eingriff in ihr Leben rächt sich Beate, indem sie, gemeinsam mit der Schauspielerin Jayne (Frida-Lovisa Hamann) Autounfälle herbeiführt, die häufig tödlich verlaufen.

Jayne entsteigt, in Dampfwolken gehüllt, einer Metallbox. Vielleicht ist sie eine Untote. Mit wallender pinkfarbener Perücke auf der einen Hälfte ihres Kopfes und kurzen dunklen Haaren auf der anderen Hälfte, tritt sie ans Mikrofon und erzählt schwärmerisch von rasend schnellen Fahrten in ihrem schicken Sportwagen und von ihrem makellosen Körper, der sich dann, bei einem Unfall, in Fleischsalat verwandelte. Vielleicht ist sie eine der Leichen, die der Versicherungsinspektor Rolf (Tino Hillebrand) im Kühlregal der Raststätte erblickt.

Rolf beobachtet von der Raststätte aus die Todeskurve ganz in der Nähe. Die Unfälle, mit denen er beruflich zu tun hat, beschäftigen ihn auch in seiner Freizeit. Das Handschuhfach seines Autos ist gestopft voll mit Fotos von unterschiedlichen Wunden. Trotz seines Besessenseins und seiner Verklemmtheit verfällt Rolf Jaynes Verführungskünsten an diesem Ort, der menschliche Wärme und Gemeinschaft ausschließt, und so finden Jayne und Beate wieder einmal ein Opfer für ihre mörderischen Pläne.

Beim Dosenfleisch in diesem Stück handelt es sich nicht nur um Nahrungsmittel, sondern auch um die Menschen in ihren Autos, über deren Einsamkeit und Ängste viel zu erfahren ist. Neben der Umweltzerstörung und den gewaltsamen Veränderungen, vielleicht auch Erneuerungen, durch Unfälle, kommt auch der ganz große, endgültige Crash zur Sprache, dem ein friedlicher Neubeginn folgt, bei dem Kinder auf der Autobahn Dreirad fahren können.

Der Autor buhlt ein bisschen sehr offensichtlich um positive Resonanz bei ökologiebewussten Gutmenschen. Seine Rechnung geht jedoch auf. Nicht zuletzt Dank der feinsinnigen Regie von Carina Riedl und der großartigen SchauspielerInnen, die brillant mit der Sprache umgehen und die ironischen Brüche in den pathetischen Klängen präzise herausgearbeitet haben, wurde die Uraufführung vom Publikum mit großer Begeisterung aufgenommen.

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