Diskurs auf kleiner Flamme – Die Filmdokumentation »Gendoping – Die Mutanten greifen an« auf ARTE/ZDF weicht dem Hauptproblem aus – der Genmanipulation der menschlichen Spezies

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In der Dokumentation »Gendoping – Die Mutanten greifen an« widmet sich der Schweizer Regisseur Beat Glogger dem neuesten Feld der Manipulation – der künstlichen Mutation der menschlichen Gene oder ihrer Elemente, speziell für das Doping im Sport. Die Dopingmethoden, die Kontrolle und Analyse beschreibt der Film anschaulich und überzeugend. Kein Zweifel bleibt an der Gefährlichkeit des Gendoping, denn die Umwandlung von Zellen ist unumkehrbar und kann das Leben wesentlich verkürzen. Ein Hormon zum Beispiel kann man absetzen, ein Gen nicht.

Spannend ist die Darstellung der bisher bekannten Möglichkeiten zur Heilung unheilbarer Krankheiten wie des Muskelschwunds. Dieser ist eine genetisch bedingte Erbkrankheit, die auch (theoretisch) durch Genmutation geheilt werden kann – eine medizinisch und ethisch verantwortbare Heilmethode. Daraus folgt: wenn das möglich ist, sollen auch die Muskeln und Gelenke alter Menschen genetisch gefestigt werden? Wo liegen die Grenzen? Die Frage bleibt offen.

Der Film offeriert die gegensätzlichen wissenschaftlich-ethischen Positionen zur Genmutation. Ein Befürworter ist der »Querdenker« Andy Miah, Bioethiker an der Foundation der Kunst und der kreativen Technologie in Liverpool, gewissermassen ein Sprachrohr des Neoliberalismus in der Wissenschaft. »Wir leben in der Kultur der Leistungssteigerung (»Leistung aus Leidenschaft – Deutsche Bank»)…Die Menschheit braucht eine neue Art, mit der Technologie umzugehen.« Die Technologie entwickle sich, folglich solle sie die Zukunft des Sports und der gesamten Gesellschaft beeinflussen. Die Gesellschaft werde sich genetisch verändern. »Wir wollen Menschen fit machen. Auch Gesunde sollen von der Gentechnologie als Lifestyle-Anwendung profitieren.«

Hingegen hält der »Vater« der Genetik, Professor Theodore Friedmann von der Universität San Diego, jene Position für absurd. Genmutation sei nichts Natürliches. Der Mensch werde zum Monster wissenschaftlicher Allmacht. Die Veränderung der natürlichen Eigenschaften des Menschen solle nicht erlaubt werden. Die Menschen dem Gentransfer auszusetzen, sei unethisch. Zudem bestehe stets die Gefahr, die Menschen vor der Ausreifung der Verfahren einem unzumutbaren Risiko auszusetzen. Aber der Professor, nachdenklich: »Auf lange Sicht wird die Genmanipulation ihren Platz im Sport finden. Dann müssen wir nachdenken, was wir uns unter Sport vorstellen. Und ist das noch Sport?« Deshalb müsse man mit der Diskussion beginnen, bevor die Breitenanwendung möglich ist.

Unterbelichtet bleibt im Film die Einsicht, dass es nicht »der Sport« ist, der das Bedürfnis nach Doping weckt, sondern der Spitzensport und vor allem der Profisport, bei dem es um viel Geld geht, und nicht zuletzt die Sucht nach nationalem Prestige. Friedmann: »Das wahre Doping ist das Geld.« – Kein Gedanke jedoch: Breitensport braucht kein Doping. Sportliche Fairness gebietet es, den sportlichen Gegner nicht durch künstliche Mittel überflügeln zu wollen.

Ausgeblendet bleibt in der Dokumentation – die im übrigen handwerklich aussergewöhnlich gut gemacht ist -, ob und wie die menschliche Spezies gentechnisch respektive genetisch verändert werden kann. Die Ideologen der Leistungsgesellschaft propagieren seit geraumer Zeit die genetische Vervollkommnung des gesunden, leistungsfähigen, »schönen« Menschen. Die Züchtung einer edlen Rasse würde so theoretisch und praktisch möglich, ein Ziel, das sich die Nazis gestellt hatten, gestützt auf die Biogenetik. Anlässlich der Ausstellung »Tödliche Medizin« im vergangenen Jahr im Jüdischen Museum Berlin wurde die moderne Spielart der Rassenhygiene und des Rassismus von der Programmdirektorin Cilly Kugelmann scharf zurückgewiesen. Wo es wissenschaftliche Möglichkeiten zum Missbrauch gibt, wie in der Atomforschung, muss es ethische Grenzen geben.

Dem Zuschauer mag sich die Frage aufdrängen: Wo soll das hinführen, für wen soll das sein, für wen nicht, will dafür jemand bezahlen, bleibt der Mensch noch ein natürliches Wesen? Wer macht mit den Erkenntnissen der Wissenschaft Politik? Diesen Fragen geht die Doku leider aus dem Wege. Doch wer das Thema anfasst, muss zumindest sagen, wo weitergedacht werden muss – nicht nur für den Sport. Eine verschenkte Chance.

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Gendoping – Die Mutanten greifen an, Dokumentation von Beat Glogger, Deutschland 2010,52 Minuten, Ausstrahlung auf ARTE am 30. Juli, 21.50 Uhr

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