Die Wiener Moderne muß man wieder in Wien anschauen – Die fulminante Ausstellung „Wien 1900. Klimt, Schiele und ihre Zeit“ in der Fondation Beyeler in Basel ist abgelaufen

Ernst Beyerle in Basel (1921-2010) und Rudolf Leonhard in Wien (1925-2010) haben sich beide um die Herausstellung der Bedeutung der Künstler dieser Epoche erfolgreich bemüht, Leopold sogar ein eigenes Museum dafür eingerichtet, während die ebenfalls wunderbare Sammlung Beyeler die internationale Moderne beheimatet. Ausstellung und Katalog sind deshalb dem Gedenken beider im Jahr 2010 verstorbenen Kunstenthusiasten gewidmet, was uns berührt.

Der Katalog bleibt wichtig, wenn die Ausstellung vorbei ist. Aber wir tun noch so, als ob alles vor uns in Basel hänge, was – wie gesagt – jetzt in Wien mit noch weitaus mehr Objekten und Künstlern, dafür aber an verstreuten Plätzen zu suchen ist. Muß man überhaupt „Wien um 1900“ charakterisieren, so ist es die Idee des Gesamtkunstwerkes, die nicht nur alle Künste zusammenfaßt unter einer künstlerischen Idee, einer Gestaltungskraft, sondern die auch ausdrückt, daß das Leben selbst ein Kunstwerk ist, also alles, was sich im Bereich Leben und Wohnen, Essen und Kleiden, Hören und Sehen, Fotografieren und Niederschreiben ereignet, ein gemeinsames Gestaltungselement habe, dem die Wiener Secession und die Wiener Werkstätten Gestalt gaben.

Natürlich müßte man voranschicken, welchen starke Anstoß dazu die Arts-and-Craftsbewegung in England und speziell William Morris gegeben haben, aber es langt auch, sich die Wiener als eigenständige auf ihre Zeit reagierende Gemeinde vor Augen zu führen, wie gleichsam von der Architektur angeführt, dann das Innere der Häuser unter künstlerische Kuratel kam, von denen nun in Basel erstmals in der Schweiz rund 200 Gemälde, Aquarelle und Zeichnungen, Möbel, Textilentwürfe, Glas- und Silberobjekte, Künstlerplakate und Fotografien zu sehen waren. Das war auch erneut eine Zeit wie die vor 1800, in der keine abwertende Unterscheidung gemacht wurde zwischen angewandter Kunst und der eigentlichen originären Kunst, die heutzutage erreicht, daß die Werke der einen Millionen erbringen, die der anderen nur dann ökonomisch zählen, wenn sie zur schmalen Gruppe der Weltdesigner gehören.

Trotz der Einsicht um die Bedeutung des Kunsthandwerks, sind wir dennoch Kinder unserer Zeit und stürzen uns stärker auf das, was an den Wänden hängt. Und da hat sich international Gustav Klimt als derjenige durchgesetzt, dessen ornamentale Porträts- und Landschaften und erotischen Zeichnungen als das Gütezeichen dessen gelten, was gemalt Wiener Jugendstil ist. Egon Schiele dagegen, dessen Körperkunst, mit der er selbst die Nerven unter der Haut auf dem Blatt vibrieren läßt, bleibt in gewissem Sinn der Künstler für Künstler, denn auch in Basel war anhand seiner Blätter seine unglaubliche Begabung für das, was der Mensch mit Körperhaltungen, mit seinen Armen und Beinen, dem Rumpf und den Fingern ausdrücken kann, überwältigend, aber auch immer wieder irritierend, weil nicht „schön“ und in diesem Sinne dem Expressionismus zugehörig.

Wie wenig allerdings solche kunstgeschichtlichen Einordnungen taugen, erkennt man nicht nur beim Vergleich der in der Anlage der Zeichnungen absoluten Ähnlichkeiten beider Künstler, die auch Freunde waren, sondern so recht erst dann, wenn man sich an diese traumhafte Ausstellung am selben Ort über Rodin erinnert, und hier besonders an seine höchst erotischen Unterleiber. Darum war es auch ein zufälliges Zusammentreffen, daß, während in Basel Klimt und Schiele hing, im Unteren Belvedere in Wien eine Ausstellung zu Rodin auch Zeichnungen zeigt, wenngleich nicht die gewagtesten, die nicht mal Klimt und Schiele sich trauten.

Auch dieser Verweis soll nur zeigen, in der Kunst hängt vieles mit vielem zusammen und das meiste ist ungleichzeitig und verstreut. Umso beglückender solche Zeiten, in denen sich die Anschauungen über die notwendige Verfaßtheit der Menschen und ihrer Gesellschaft in Theorie und Praxis auf einer ästhetischen Ebene bewegen und diese durch Produkte Ausdruck finden. In Basel wurde der Besucher erst einmal mit dem Beethovenfries von Gustav Klimt konfrontiert, der auch als Kopie gewaltig wirkt und uns dorthin versetzt, wo alles anfing, als im Mai 1897 in Wien mehrere Künstler die alte und akademische Künstlervereinigung verließen und sich absonderten zur später Secession Wien genannten Vereinigung bildender Künstler Österreichs.

Joseph Maria Obrich, der dann in Darmstadt den Darmstädter Jugendstil begründete und weiterführte, und gerade dort und in Wien im Leopoldmuseum in einer gewaltigen Ausstellung zeigen durfte, was ihm die Welt verdankt, hatte die Secession, den weißen Kubus der Moderne mit der golden durchbrochenen Kugel, geschaffen und die Ausstellung zum Beethovengedenken 1902 war als Gesamtkunstwerk konzipiert. Für immer allerdings war die vom Ausstellungsmacher Josef Hoffmann inszenierte Beethovenschau hinsichtlich des Beethovenfrieses von Gustav Klimt gedacht.

Die riesige Beethovenskulptur von Max Klinger stand in der Mitten. An den Wänden dann auf 34 Metern bei zwei Meter Höhe dieser Beethovenfries, in dem Klimt die Geschichte und unsere Welt unterteilt in Genien, leidende Menschen und Ritter, die feindlichen Gewalten wie äußerlich Gorgonen undinnerlich sündhafte Leidenschaften sowie das Gute in Form von Kunst und Poesie. Es sind also Allegorien, die von den erhaltenen Wandteilen uns Frauen zeigen, die flächig sind und schön und häßlich und eingebunden sind in einen ornamental geschichteten Bildraum.

Wichtig auch, daß Wien um 1900 die Doppelbegabung von Menschen so zugelassen hat. Wir alle glauben, uns spezialisieren zu müssen. Aber damals durfte ein Architekt auch ein Porzellanservice entwerfen, ein Arnold Schönberg malen (lange wußte er nicht, ob er sich für die Malkunst oder das Komponieren entscheiden sollte), ein Josef Hoffmann ein Haus bauen, in dem er bis zur Serviette das gesamte Mobiliar und das Innere der Schränke selbst entwarf, ein Koloman Moser malen und Möbel herstellen, aber auch Theater machen und Bühnenbilder gestalten. Oskar Kokoschka war nicht nur Maler und Graphiker, sondern schrieb auch Theaterstücke und anderes.

Das alles müssen Sie nun in Wien an Ort und Stelle suchen. Aber Sie haben auch den hilfreichen, mit sehr guten Abbildungen und interessanten Essays ausgestatteten Katalog, der diese Wunderausstellung bewahrt.

Katalog: Wien 1900. Klimt, Schiele und ihre Zeit. Ein Gesamtkunstwerk, hrsg. von Barbara Steffen im Auftrag der Fondation Beyerle, Verlag Hatje Cantz 2010

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