Die Schönheit in der Vergrößerung oder auch: Die Suche nach der Wahrheit – „Fotografie und das Unsichtbare, 1840-1900“ in der Albertina in Wien

Andreas Ritter von Ettingshausen

Diese Verbindung von Schönheit und Wahrheit zeigt auch die nächste Abbildung von Talbot „Zwei Mikrofotografien von Planzenstengeln“ um 1839 auf Salzpapier. Wie Jahresringe, aber eingekerbt auch in der Länge der eine, der andere wie eine Verpuppung von Schmetterlingen, dicht aufgereiht, oder plattgedrückte Perlenschnüre oder, der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt. Dabei ging es um deren Gegenteil, das genaue Erfassen der Botanik, den „Zeichenstift“ der Natur“ (Talbot) mit modernen Hilfsmitteln sichtbar zu machen: mit Mikroskopen, Teleskopen, mit Winkel- und Zeitmeßgeräten, später auch mit elektrischen und radiologischen Apparaten.

Das, was auch dem schärfsten Auge verborgen bleibt, die Linse holte es unter systematisch eingesetzten Methoden ans Licht. Daher begründet sich der Titel der Ausstellung, der Zusammensetzung von Fotografie und dem – dem menschlichen Auge im Detail – Unsichtbaren. Es interessiert den Wissenschaftler das Mikroskop, den Fotografen die Linse. Optische Geräte sind beide und die Abbildung des Belichteten auf Salzpapier ein ästhetisches Vergnügen wie ein Fortschritt für die Wissenschaften, die sich im 19. Jahrhundert erst in der moderner Terminologie zu differenzieren beginnen..

Vom optischen Vergnügen an den metallen glänzenden Daguerreotypien weiß man schon lange. „Fermate von Süßem Urin“ nennt Foucault 1844 seine Abbildung. Zwar wissen wir nicht, was das „süß“ in diesem Zusammenhang bedeutet, dachten bisher, daß Urin grundsätzlich sauer sei und grundsätzlich nicht an die Wand, sondern woanders hin gehört, aber das, was uns Foucault hier als Abbildung zeigt, ist so schön und graphisch außergewöhnlich, daß wir sofort für diese Abbildung als Kunstwerk plädieren. Genauso geht es uns mit dem „Querschnitt durch den Stengel einer Clematis“, den Ritter von Ettingshausen 1850 in 50facher Vergrößerung auf die Platte bannte. Auch dies ein Kunstwerk besonderer Güte und Schönheit. Geadelt durch die Vergrößerung und die Daguerreotype scheint uns dieser Querschnitt eines Stengels weitaus ansprechender als einer in der Natur.

Stark auch die „Männliche Kratzmilbe“ von Auguste-Adolphe Bertsch um 1853-57, die geradezu gefährlich aussieht. Er hatte es geschafft, selbst lebende Tiere unter das Mikroskop zu bekommen. 1857 hatte Bertsch 135 Mikrofotografien an die französische Regierung übergeben. In derselben Manier hatte er Materialien, Tiere und Pflanzen durch Vergrößerungen geadelt. Es gibt in dieser Ausstellung viele Fotografien von Bertsch, die alle begeistern und bei dessen Farben und Formen man manchmal an ein ganz anderes Genre denkt: an die Zeichnungen von Escher, die keinen Realismus haben, aber genau diesen Anschein erwecken. Unterwegs sieht man dann auch Kolorierungen der Aufnahmen von Ernst Heerger, was einem bei den Darstellungen aus der Zoologie hier fremd vorkommt.

Wahrlich traumhaft dann die Ansichten vom Mond am 26.2.1852 und am 28.7. 1851, gerahmt und hinter Glas und in einem rotsamten ausgeschlagenen Etui geschützt. Irritierend das, wie eine mutwillig bearbeitete Schellackplatte aussehende Foto „Venusdurchgang mit dem fotografischen Revolver aufgenommen, 1874 von Pierre Jules Cesar Janssen. Längst sind wir in der Abteilung Astronomie und schauen die ganze Zeit auf Daguerreotypien. Aber schon kommt der Mensch als Thematik dieser frühen Fotografie des Unsichtbaren. Es ist wieder Bertsch, der 1853 „Haut eines menschlichen Fingers“ zeigt, die niemand als solche in dieser Belichtung und Vergrößerung erkennen täte und daß wir beim folgenden Foto „Der Floh“ nicht erstaunt sind, hat nur mit den spezifischen vielen und langen Beinchen dieses Unholds zu tun. Die Fotografie stammt von Arthur E. Durham und wir fragen uns nur, warum sie hier unter den Menschenbildern hängt. Aber dies geht weiter, denn „Geburt eines Laus“ zeigt Bertsch 1853-57 in Hochform. Außerordentlich beeindruckend diese Dreierfolge.

Überhaupt hat sich die Mikrofotografie durchgesetzt. Nach 1880 wird sie explosionsartig be- und genutzt. Mittels insgesamt sechs Apparate kann man die Mikroaufnahmen in der Ausstellung auch in 3 D sehen. Die Schärfe kann man verstellen und verblüfft sieht man, daß der Titel „Raupennest“ in seinen Bestandteilen einer Vulva gleicht. Etwas kubistisch, aber eindeutig zu erkennen. Hermann Schnauss’ „Elektrografie einer Fünfmarkmünze“ um 1900 gibt auch Anlaß zum Staunen. Er leitet Strom auf Münzen und belichtet den Vorgang, was eine Blitzlichtfotografie ergibt, wie Gewitter am nächtlichen Himmel. Nun dokumentiert die Ausstellung die fotografischen Geräte. Hinter Glas sieht man eine Spezialkamera für mikroskopische Aufnahmen von 1892. Heute könnte man sich so einen Ausstellungsgegenstand als Kunstwerk auf die Kommode stellen, so ästhetisch und anspruchsvoll wurden damals auch Gebrauchswerkzeuge gestaltet.

In einer Glasleiste werden die Abbildungen in zeitgenössischen Büchern gezeigt und ein überdimensioniertes Buch von 1896, das schlicht „Röntgen Strahlen“ heißt, zeigt Röntgenbilder eines Fußes und eines Schädels. Es sind Radiografien, unter denen als Kuriosität auch zwei Röntgenbilder des unbekannten H.H.Horne aus Finnland großformatig an der Wand hängen. Es handelt sich um die Durchleuchtung von Hand und Handgelenk der russischen Zarin Alexandra von 1898 mit Schmuck! Am Ringfinder trägt sie 3 Ringe und ein Armband, das wie Granatschmuck aussieht, mit Goldkettchen zum Nichtverlieren, falls der Verschluß aufgeht und einen Schlangenreif, wo sich die eine Schlange über dem Kopf der anderen windet, wenn man mit der Hand hineinschlüpft. Ihr Pendant, die Hand des Zaren, zeigt diesen ringlos, aber der Manschettenknopf ist deutlich auszumachen.

Auch Animismus und Spiritismus werden in der Ausstellung thematisiert. Denn, wenn die göttliche Schöpfung und der menschliche Geist nicht Phänomene des Übernatürlichen erklären, suchen die Menschen sich Hilfserklärungen. Und der Auftrieb der Wissenschaften, der so viele, lange von Menschen geglaubten Wahrheiten außer Kraft setzte und neue Wahrheiten einforderte, treibt eben Unsichere in die Arme von solchen Welterklärern. Uns aber lockt längst der untere Saal, in dem der berühmte Eadweard Muybridge, den keine Student der Kunstgeschichte je vergißt, seine fotografischen Studien des Ablaufs von Bewegungen mit seinen Pferdeserien ins kulturelle Gedächtnis der Nachwelt schrieb. Bei diesen Bildern ging es um die Theorie, wohin die vier Hufe eines Pferdes weisen, wenn diese gleichzeitig keinen Bodenkontakt mehr haben. Konkret, ob sie wie ein Schaukelpferd nach außen weisen oder Richtung Bauch gezogen sind, letzteres beweisen dann Muybridges Fotografien um 1878.

Es folgen viele viele seiner Reiterbilder mit den exakten Bewegungsabläufen. Bei „Frau, die Wasser aus einem Kübel über eine andere Frau leert“ von 1887, fragt man sich, warum kein Mann das Wasser abkriegt, weiß aber sofort die Antwort. Beide Frauen sind nackt. Im nackten Körperzustand kann man die Bewegung des Körpers genauer nachvollziehen und dekorativer sind solche Bilder auch. Das Gleiche ist zur „Toilette“ zu sagen, die wir als neckische Bilder typisch für die Gründerzeit veranschlagten, denn das wissenschaftliche Interesse bei dem Bewegungsablauf der Frauen in die Tücher, in die sie nackt springen, scheinen uns fern. Lustig dann „Die Katze im Galopp“. Wiederum merkwürdig mutet „Verhauen eines Kindes“ von 1887 an. Natürlich eine Frau, natürlich nackt. Die nächsten Bewegungsfotografien zeigen Reiter, männlich natürlich und ordentlich in ihrer Reiterkleidung aufgebrezelt. Den Abschluß der Chronofotografie, die Muybridge durch Einzelbilder herstellt, leistet Marey steht, wenn in einem einzigen Bild die sukzessiven Bewegungsabläufe erscheinen. Eine spannende Ausstellung, die aus dem San Francisco Museum of Modern Art kommt.

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Ausstellung:

bis 27. Mai 2009.

Katalog:

Fotografie und das Sichtbare, hrsg. von Corey Keller, Christian Brandstätter Verlag, Wien 2009. Weil es bei den Originalen an den Wänden auf die zarten Farbschattierungen besonders ankommt, ist dieser Katalog daraufhin sofort überprüft worden und hält alle Erwartungen. Das schleierartig Machen der Fotografien wie auch ihre graphische Dichte ist außerordentlich gelungen wiedergegeben. In den Essays werden die Themen vertieft und auch der wissenschaftliche Anspruch aufgedeckt, der Fotografen und Forscher einte. Und das technische Glossar wird für die nächsten Jahrzehnte reichen. Man kann den Katalog aber auch als Bilderbuch über die Schönheit der Natur anschauen oder sich am Witz der Menschen erfreuen, die mit Licht die Welt abzubilden anfingen. Nur bei schlechtem Licht hatten wir mit den aparten hellfarbigen Namensdrucken im Verzeichnis der Werke am Schluß unsere Probleme.

Reiseliteratur:

Felix Czeike, Wien, DuMont Kunstreiseführer, 2005
Baedecker Allianz Reiseführer Wien, o.J.
Lonely Planet. Wien. Deutsche Ausgabe 2007
Walter M. Weiss, Wien, DuMont Reisetaschenbuch, 2007
Marco Polo, Wien 2006
Marco Polo, Wien, Reise-Hörbuch

Tipp:

Gute Dienste leistete uns erneut das kleinen Städte-Notizbuch „Wien“ von Moleskine, das wir schon für den früheren Besuch nutzten und wo wir jetzt sofort die selbst notierten Adressen, Telefonnummern und Hinweise finden, die für uns in Wien wichtig wurden. Auch die Stadtpläne und U- und S-Bahnübersichten führen– wenn man sie benutzt – an den richtigen Ort. In der hinteren Klappe verstauen wir Kärtchen und Fahrscheine, von denen wir das letzte Mal schrieben: „ die nun nicht mehr verloren(gehen) und die wichtigsten Ereignisse hat man auch schnell aufgeschrieben, so daß das Büchelchen beides schafft: Festhalten dessen, was war und gut aufbereitete Adressen- und Übersichtsliste für den nächsten Wienaufenthalt.“ Stimmt.

Anreise:

Viele Wege führen nach Wien. Wir schafften es auf die Schnelle mit Air Berlin, haben aber auch schon gute Erfahrungen mit den Nachtzügen gemacht; auch tagsüber gibt es nun häufigere und schnellere Bahnverbindungen aus der Bundesrepublik nach Wien.

Aufenthalt:

Betten finden Sie überall, obwohl man glaubt, ganz Italien besuche derzeit Wien! Überall sind sie auf Italienisch zu hören, die meist sehr jungen und ungeheuer kulturinteressierten Wienbesucher. Wir kamen perfekt unter in zweien der drei Hiltons in Wien). Sinnvoll ist es, sich die Wien-Karte zuzulegen mitsamt dem Kuponheft, das auch noch ein kleines Übersichtsheft über die Museen und sonstige Möglichkeiten zur Besichtigung in Wien ist, die Sie dann verbilligt wahrnehmen können. Die Touristen-Information finden Sie im 1. Bezirk, Albertinaplatz/Ecke Maysedergasse.

Mit freundlicher Unterstützung von Air Berlin, dem Wien Tourismus, der Wiener Festwochen und diverser Museen und den Hilton Hotels Wien.

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