Die Schattenfrau – Der Martin-Gropius-Bau lässt die Fotokunst Liselotte Grschebinas entdecken

Liselotte Grschebina hatte ihre professionelle Fotografie 1960, als die „Schattenfrau“ entstand, aufgegeben, war nur noch Hausfrau. Durch die Viertel Tel Avivs zog es die „Frau mit Kamera“ weiterhin. Auch in Palästina, wo sie von 1934 an arbeitete, war ihr größtenteils 1929 bis 1960 entstandenes fotografisches Oeuvre praktisch unbekannt. Undatiert, ungeordnet warteten über 1800 Fotografien in Pappkartons. Ihr Sohn warf diese Kartons nach ihrem Tod nicht weg, sondern kümmerte sich um die Sammlung. Passend zeigt einer der beiden Schaukästen diese alten Kartons, in dem kleinen Saal unter dem Dach des Martin-Gropius-Bau. Das Lagern des künstlerischen Materials ist prägend in Grschebinas Lebenslauf. Rund 100 Bilder des 1800 Fotografien umfassenden Nachlasses sind im Martin-Gropius-Bau zu sehen. Dass die Ausstellung mit der von Hannes Kilian zusammenfällt, der mit ihr Wurzeln, künstlerischen Hintergrund und Zeitbezug teil, ist Zufall, gesteht James S. Snyder, Direktor des Israel Museums in Jerusalem, bei der Pressekonferenz. Es fügt sich ideal, dass im Martin-Gropius-Bau neunzig Jahre nach dessen Ausstellung “Neues Sehen” eine Vertreterin dieses Stils präsent ist. Zusätzlich ist Liselotte Grschebina Vorbotin der Ausstellungen rund um das Bauhaus, welche im Sommer geplant sind. “Liselotte Grschebina. Eine Frau mit Kamera” ist somit eine doppelte Rückkehr der vom Nationalsozialismus aus dem Land getriebenen Künstlerin.

Eine verführerische junge Frau blickt mit schwerem Augenaufschlag vom Ausstellungsplakat. Deren Titel umrahmt ihre Bubifrisur wie bei einem Stummfilmstar. Das Kameraauge richtet die Grschebina experimentell auf sich als Werbemotiv. Ganz anders die nächste Grschebina. Mit Perlenketten um den Hals, das Haar zurückgenommen, senkt sie in sich gekehrt den Blick. An Giselle Freuds Porträtfoto Virginia Woolfs erinnert das zweite Selbstbildnis. Ist der Vamp nur eine geschickte Inszenierung oder die stille Dame oder beide? Zwischen einer Werkbeschreibung und einem Lebenslauf ist es das zweite prägende Portrait der Künstlerin. Denkbar unspektakulär erscheint das Eröffnungsbild: “Eier”, um 1930 entstanden, zeigt zwei solche neben einem Stück Brot. Sie konnte auch anders. In krassem Kontrast dazu steht das Sportlerinnenbild “Leichtathleten”, um 1930. Ein Lobgesang auf den trainierten Körper, den “schönen”, arischen.

Man muss diesen Begriff verwenden, auch wenn man sich angesichts des biografischen Hintergrunds Liselotte Grschebinas dagegen sträubt. Unwillkürlich tauchen die kultisch-faschistischen Olympiabilder Leni Riefenstahls im Geiste auf. Im Katalog steht eine Fotografie Riefenstahls in direktem Vergleich zu einer Grschebinas. Dass sie diesen Vergleich nicht scheuen, steht für die Gradlinigkeit der Kuratoren, dass sie im Vergleich besteht, für die Qualität der Fotografien Grschebinas. Bei den Sportlerbildern gilt es zu unterscheiden zwischen Ideologie und ästhetischem Zeitgeschmack. Idealisierte Nacktheit, Körperkultur, aus der Körperkult wuchs, gehörten zu den Modeerscheinungen der Epoche. In dieser Stilart geht es weiter. Menschen beim Diskuswerfen, Weitsprung oder gen Horizont schauend. Meist sind es Frauen, welche die Kamera dokumentiert. Hier spürt man den Unterschied zu der von maskulinen Körpern dominierten Arbeit Leni Riefenstahls.

Geboren wurde Liselotte Grschebina 1908 als Liselotte Billigheimer in Karlsruhe. Ihr Vater, ein jüdischer Kaufmann, fiel im Ersten Weltkrieg. Von der Studentin von 1925 bis 1928 an der Badischen Landeskunstschule Karlsruhe – der heutigen Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Karlsruhe – stieg sie auf zur Lektorin der Werbefotografie. In diese Zeit fallen die Sportleraufnahmen, welche die unbequemen Assoziationen wecken. Nachdem sie aufgrund “mangelnder Nachfrage nach dem Studienfach” ihre Dozentinnentätigkeit aufgeben musste, eröffnete sie 1932 ihr eigenes Atelier “Bilfoto”. Das auf Werbe- und Kinderfotos spezialisiert Studio zwang der wuchernde Nationalsozialismus sie, 1933 zu schließen. Ein Jahr später siedelte sie mit ihrem Mann Jacob nach Tel Aviv um. Mit ihrer Freundin Ellen Rosenberg (später: Auerbach) eröffnete sie dort das Fotostudio “Ishon”. 1939 gründete sie die erste professionelle Fotografenorganisation Palästinas “Palestine Professional Photographers Association” (PPPA), an deren Ausstellung “Logos” sie zwei Jahre später teilnahm. Wie die internationale Kunstszene wurde auch die israelische Fotografie maßgeblich von den vor dem Faschismus fliehenden Emigranten geprägt.

Die Zusammenarbeit mit Ellen Rosenberg wurde zur entscheidenden Inspiration für die junge Fotografin. “Ishon” bedeutet im Hebräischen Augapfel. Die Wortwahl scheint symbolisch für die Hintergründigkeit von Liselotte Grschebinas Perspektive. Durch ihre Aufnahmen sieht man mit dem inneren Auge hinter die Oberfläche des Gezeigten. Hier enthüllt sich die Künstlerin hinter dem professionellen Schaffen. Gleichzeitig erreichte ihre Werbefotografie einen neuen Anspruch. Deren ungewöhnliche Modernität verbirgt sich in der Unauffälligkeit der Bilder. Fast neckisch fügen sich ein Mannequinkopf mit Hut und davor arrangierte Handschuhe zum Umriss einer Dame. Das Titelbild der Zeitschrift “Hahayim Hallahu” in einem der zwei Schaukästen könnte ein aktuelles sein. Es zeigt ein verwahrlostes Mädchen. “To be or not to be” wurde auf den Umschlag notiert, die Übersetzung der hebräischen Bildunterschrift. In der Tradition der “Neuen Sachlichkeit”, welche klare Linien und Schlichtheit betonte, und des durch Reduktion geprägten Bauhaus-Stils entwickelte Liselotte Grschebina eine unaufdringliche Direktheit in ihrer Bildsprache. Ihre erfolgreichsten Werbemotive kontrastieren mit den Amateurarbeiten. Ein lachendes Kleinkind wirbt für “Ishon” , eingerahmt von Straßenkindern und einer einfachen Familie in den Gassen Tel Avivs. Dank ihres durch die Tätigkeit in der Werbebranche geschärften Auges betonte Liselotte Grschebinas den inszenatorischen Charakter ihrer professionellen Bilder. Unter der Zigarettenreklame (“Eden Zigaretten”, 1936) einer sich suggestiv an einer Kerze Feuer nehmenden Frau hängt das Bild eines Arbeiters mit einer Kippe im Mund. Das dokumentarische Moment des “Neuen Sehens” paart sich hier mit Spontanität und Sensibilität. Beides spricht auch aus der Porträtaufnahme einer verschleierten Frau. Kein Mensch, eine angekleidete Holzpuppe sieht einem entgegen. Filigrane Strukturen, Federn und Masken fängt die Vergrößerungslinse der Kamera ein. Auf den nackten Oberkörper einer Frau wird gleich einem fein gesponnenen Kostüm ein Schattengeflecht geworfen. Noch wenige Bilder, dann endet die Ausstellung, die mehr eine Vorstellung des umfangreichen Schaffens Liselotte Grschebinas ist. Erst jetzt merkt man, wie tief man in die Welt der Fotografin eingetaucht war. Das letzte Motiv im Schaukasten zeigt ihre “Ishon”-Reklame im Halbdunkel eines Schaufensters. Kurze Zeit später versank ihre Fotografie im Vergessen. Während ihrer Arbeit als Werbefotografin war die Kunstwelt nicht auf Grschebinas Leistung aufmerksam geworden. Ihre bemerkenswertesten Werke nahm sie privat auf. Eigene Veröffentlichungen dieser Fotografien waren die Ausnahme. Über die späteren Jahre der Künstlerin verrät die Ausstellung fast nichts. Nur, dass sie Hausfrau war, erfährt man. Liselotte Grschebina verstarb praktisch unbekannt 1994 in Petah Tikvah.

Nach dem Besuch der Ausstellung erschließt sich die Wahl des Eröffnungsmotivs. Es vereint das Unspektakuläre, Unmittelbare, welches Liselotte Grschebinas Werk außergewöhnlich macht und kaum beachtet ließ. Keine Arriviertheit, keine gesuchte Perspektive distanziert den Betrachter von dem Gezeigten. Liselotte Grschebina hatte viele Gesichter. Dies lässt die Ausstellung trotz ihrer Reduziertheit erahnen. “Liselotte Billigheimer” zeigt das letzte Foto. Eine fast desinteressiert zur Seite blickende moderne junge Frau. Das ist sie, die Fotografin, glaubt man zu wissen. Der suggestive Vamp auf dem Ausstellungsplakat scheint gleich ironisch zu zwinkern. Die Schattenfrau ist im Martin-Gropius-Bau ins Licht zurückgekehrt.

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Eine Frau mit Kamera: Liselotte Grschebina. Deutschland 1908 – Israel 1994
Martin-Gropius-Bau Berlin: 5. April bis 28. Juni 2009

Katalog: „Eine Frau mit Kamera: Liselotte Grschebina, Deutschland 1908 – Israel 1994“/ Herausgeber: Yudit Caplan/ Englisch, Deutsch, Hebräisch
155 Seiten, The Israel Museum, Jerusalem 2008, € 12

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