Die Qual der Wahl: die Romane verschenken, die man selber gerne lesen möchte – Serie: Die letzten Ratschläge für Bücherkäufer, auch nach Weihnachten (Teil 1/10)

Robert Littell: Das Stalin-Epigramm

Sie kennen die Piefkes nicht? Dann kennen Sie sich selber nicht und werden sich in diesem Buch kennenlernen, das kann man Ihnen versprechen. Darin wird auch endlich enthüllt, wie es zu der böswilligen oder zutreffenden Bezeichnung Piefkes kam: es war schlicht ein deutscher Stabsmusikmeister, der beim Staatsbesuch in Wien Kaiser Wilhelm begleitete und das musikalisch so zackig und martialisch tat, daß ab dann alle gewissen Deutschen Piefkes heißen. Nie alle. Aber welche? Das enthüllt Ihnen dies Buch gnadenlos.

Claudia Pineiro empfehlen wir gleich doppelt. „Ganz die Deine“ und „Elena weiß Bescheid“ aus dem Unionsverlag in Zürich. Wenn Sie mal niedergeschlagen sind oder nichts zu lachen haben, diese argentinische, so freche, wie menschliche Autorin holt sie mit ihren Büchern wieder raus. Na klar, daß es immer um Männer und Frauen oder besser: immer um Beziehungen geht. Gefährlich wird’s, wenn wie in „Ganz die Deine“ das nicht im 1:1 Verhältnis passiert, sondern zwei Frauen und ein Mann oder noch mehr Frauen mitspielen? Elena, die Mutter von Rita, die sich den Glockenturm hinuntergestürzt hat, weiß erst einmal sehr lange nicht Bescheid, weil das ja auch einfacher ist und man sich um nichts kümmern muß. Mutter-Tochter-Beziehungen werden derzeit nicht so oft thematisiert, dabei gehören diese auch in der Lesart von Claudia Pineiro zu den erbittertsten und spannendsten.

Mehr Zeit braucht man für den wunderbaren Lesewälzer von Almudena Grandes aus Madrid, „Das gefrorene Herz“, erschienen beim Rowohlt Verlag. Wer Spanien liebt und daran leidet, wie die kaum aufgearbeitete jüngste Geschichte Familien und eigentlich die ganze Gesellschaft zerreißt, ist hier richtig. Hier geht es um Vergangenheit, die als heute erscheint, denn sie ist noch nicht vergangen, weil die alten Wunden aufreißen und es wieder einmal eine Frau ist, die schonungslos die Lügen aufdeckt, die Alvaro und seine Familie dem Verrat an ihrer Familie verdanken. Eine Familiensage der Fernandez und der Carrion, in der jeder Leser einen Onkel, eine Tante und – oh Schreck – auch sich selber entdeckt. „Das gefrorene Herz“ hat viele Literaturpreise erhalten und liest sich süffig.

Wer aber nur ein Buch kaufen kann und die Dichter so wichtig nimmt wie die Politik und dann auch noch einen Thrillerautor („Die Company“) lesen möchte, für den haben wir von Robert Littell „Das Stalin Epigramm“ aus dem Verlag Arche. Muß man den Verfasser noch vorstellen? Wir sagen gerne, das ist der Vater von Jonathan Littell, der mit „Die Wohlgesinnten“ aus dem Berlin Verlag das wichtigste deutsche Erzählwerk über die Nazis und ihr Drumherum schrieb, auch wenn die Deutschen sich nicht gerne von Ausländern ihre Geschichte erklären lassen und die Oberhoheit selber behalten möchten, macht Ihnen Jonathan Littell vor, wie man was geschichtlich Festgezurrtes aufbricht, zum Leuchten bringt, zum Entsetzen auch, zum Wissen über Stalingrad genauso wie die unglaublichen Geschichten zum Sprachenstreit im Kaukasus, wo die Sprache angab, wer Jude sein sollte oder wer keiner hat sein müssen und leben bleiben durfte. Absurd, aber wahr.

Nun weiß man allerdings nach Robert Littells Stalin Epigramm erst so richtig, was der Sohn vom Vater gelernt hat, eben auch das Interesse für die Wirklichkeit in der Geschichte. Das, was in Moskau 1934 los war, erzählt Littell mit vielen Stimmen, was erst einmal verwirrt, bis man sofort am Zungenschlag mitbekommt, ob wir es gerade mit Väterchen Stalin persönlich zu tun haben, dem Schlächter, der sich von seinem Lieblingsdichter Ossip Emiljewitsch Mandelstam ob seines Epigramms verraten fühlt, oder ob der Dichter selbst spricht, oder seine Frau oder Boris Pasternak oder Anna Achmatowa. Ja, da war was los in der UdSSR und Robert Littell ist ein großartiges Buch gelungen, das wie eine Fiktion erscheint, aber das niederschreibt, was ihm die Witwe 1979 in Moskau erzählte. Vater und Sohn. Beide phantastische Erzähler.

Salman Rushdie schreibt noch, auch wenn er dafür derzeit offiziell nicht verfolgt wird. „Die bezaubernde Florentinerin“ aus dem Rowohlt Verlag, kann es nicht mit seinen „Mitternachtskindern“ aufnehmen, aber die haben ja im letzten Jahr in England den Sonderpreis erhalten, wo alle Booker-Preisträger überschaut, dieser wirklich hinreißende Roman als „Best of the Booker“ erwählt wurde. Und das war Salman Rushdie ohne die Satanischen Verse. . Der Englisch schreibende Inder ist das, was man einen ’begnadeten` Erzähler nennt. Anders kann man das nicht ausdrücken. Wie es Rushdie gelingt, einen jungen blonden Mann nach Indien kommen zu lassen, direkt aus Florenz, der den Weg um Afrika herum wählte und auch noch Vespucci heißt, das verspricht schon mal etwas, dazu kommen die übrigen Verwicklungen, die gesteigert werden, weil dieser Fremde Abkars Onkel zu sein behauptet, dem der Palast gehört und der nun alles, fast alles über den Schurken Machiavelli hört, aber auch die übrigens Renaissancegrößen wie Botticelli, dem gerade in Frankfurt eine rare und opulente Schau gewidmet ist. So recht eigentlich aber geht es um „Schwarzauge“, denn solche besitzt die zauberhafte Florentinerin, die schönste Frau der damaligen Welt.

Worum es geht? Um Liebe, Liebe, Liebe, Macht, Macht, Macht, Verrat, Verrat, Verrat und noch viel mehr.

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