Die Preisverleihung und „Muster aus Hans“ von Eleonore Frey und Jürg Laederachs “Depeschen aus Mailland“ – Serie: Der Schweizer Buchpreis und die Buch.09 in Basel (Teil 2/4)

Buchdeckel zu „Muster aus Hans“ von Eleonore Frey

Die nominierten Bücher waren in alphabetischer Reihenfolge:

„Muster aus Hans“ von Eleonore Frey aus dem Droschl Literaturverlag

„Depeschen nach Mailland“ von Jürg Laederach, bei Suhrkamp erschienen

„Flughafenfische“ von Angelika Overath aus dem Luchterhand Literaturverlag

„Mehr Meer“ von Ilma Rakusa im Droschl Literaturverlag

„Herr Adamson“ von Urs Widmer aus dem Diogenes Verlag.

Unsere Vorschau vom 26. September auf die Preisverleihung vom 15. November hatten wir übertitelt: „Verblüffende Auswahl“. Das liegt einerseits daran, daß einige durchaus berühmte Autoren auf dieser Liste fehlten, andererseits vier der Nominierten mit über 60 Jahren zu den Älteren zählen, gleichzeitig mit drei Frauen überraschend ihr Anteil an der 31prozentigen Gesamtbeteiligung überproportional ist, zwei der Nominierten im österreichischen Literaturverlag Droschl aus Graz publizieren, zwei in deutschen Verlagen und mit dem Diogenes Verlag nur ein schweizerisches Verlagshaus dabei ist, während von den insgesamt teilnehmenden Verlagen je 23 aus der Schweiz und Deutschland stammen und nur einer aus Österreich, Droschl, literarische Heimat der neuen Buchpreisträgerin Ilma Rakusa mit „Mehr Meer“. Zudem sind die ausgewählten fünf Bücher stärker noch als bei herkömmlicher Romanstruktur sonst üblich sehr eigenwillige literarische Gewächse, mit denen man sich durchaus schwer tun kann. Das konnten nun die Festbesucher selber hören und sehen.

Vorweg mußte die Leitung bekannt geben, daß Eleonore Frey einen Schwächeanfall erlitten hatte und trotz Besserung im Krankenhaus liegt. Ihr Buch „Muster aus Hans“, für diesmal ein Hans im Unglück wurde von Juror Hans Ulrich Probst warmherzig als „hundert Seiten dichte, intensive leuchtende Prosa“ gewürdigt. „Sie vergegenwärtigen in achtzehn Fragmenten, ’Mustern’ eben, den eigenwilligen Protagonisten und sein Umfeld, zugleich kompakt erzählend und klug reflektierend.“ Hans ist ein 33jähriger Gärtner, der gern den ’wilden Mann’ markiert, was ihm sein dichter Bart und die üppige Mähne erleichtern, was aber wider den Schein ist, denn sein ’dickes Fell’ trügt. Frey: „Darunter ist seine Haut so dünn, daß sie alles durchläßt, was ihn auch nur anweht.“ Und es weht ihn viel an, denn er ist einfach anders als die anderen, was die anderen ihn spüren lassen. Doch Eleonore Frey macht daraus keinen klinischen Fall von autistischen Syndromen, sondern lokalisiert die Selbstsuche von Hans im Umgang mit der Sprache, „und zeigt, wie Hans sich die Welt Wort für Wort erschließt. Schmerzhaft gerät er dabei in Gegensatz zu einer bürgerlichen Gesellschaft, deren dünkelhafte selbstgerechte Konventionalität die Autorin sarkastisch entlarvt“, so Probst.

Während der anschließenden Lesung aus ihrem Buch, rekapitulierten wir unsere Leseerfahrung, die mit dem Umschlag begann, auf dem ein dichtgewebtes Endlosmuster aus weißen Linien auf schwarzem Grund den horror vacui sinnlich macht, dem Hans ausgeliefert ist und dem er mit Sprache und Schweigen zu entkommen sucht, was uns wiederum die Autorin mit Sprache vermittelt. Wir selbst waren auf Hans nicht neugierig. Die Unangepaßten, die ’wilden Männer’ begegnen uns oft, wie sie auf willige, angepaßte Frauen treffen, und von deren Helfersyndrom geheilt und am Leben gehalten werden. Was uns dann aber anzog und einfach in die Sprache der Eleonore Frey recht eigentlich verliebt machte, sind Sätze von so außerordentlicher Schönheit, die man gar nicht zitieren kann, weil sie im Büchlein nicht einzig sind, sondern die Basis ihres Schreibens. Das ist eine eigentümliche Leseerfahrung, die bei uns fast gegen die Hauptperson nur aufgrund ihrer Sprachverwendung zustandekam.

Überhaupt nicht sperrig, sondern eher süffig zu lesen, sind „Depeschen auf Mailland“ von Jürg Laederach. Manfred Papst stellte das Buch als nächstes vor und lobte den in Basel lebenden Autor als „furiosen Sprach-Experimentator“, dem nun überrasche „mit einem federleichten und frechen, farbigen neuen Buch“. Anlaß ist ein wirklicher Emailverkehr zwischen ihm und Michel Mettler aus Aargau, in dem es hauptsächlich um Jazz und um Platten, CDs und Kassetten geht, und das dieser unter Weglassen seiner eigenen Mails zu einem einseitigen Zwiegespräch verdichtete, das dennoch den Gegenüber als Angesprochenen imaginiert. „Die Briefpartner verbindet ihre Liebe zum Jazz, ja zur Musik überhaupt, ihr Sammeleifer, ihre Musikalität und Kennerschaft. Jürg Laederach brennt für seinen Lieblingsjünger laufend Raritäten auf CD und versieht sie mit launigen Kommentaren.“, so trug Papst vor und resümierte: „Nie hat man den Autor,d er 1974 mit ’Einfall der Dämmerung’ debütierte und seither gut 20 eigene Bücher sowie ebenso viele Übersetzungen vorgelegt hatte, agiler, jünger, spontaner erlebt.“

Während der Lesung seines Suhrkampbandes, die prompt unsere Vorbehalte wachrufen, versuchen wir diese zu substantiieren: es ist der überaus häufige englischsprachige Slang, der im Jazz schon zu Hause war, als eine bürgerliche Welt diese noch als Affenmusik abtat. Damals war das eine revolutionäre Tat. Wir erinnern uns noch, wie wir uns als Jugendliche gegen den Mief der 50er und dann 60er Jahre absetzen wollten, uns mit der Übernahme der englischen Ausdrücke für eine Internationalität der Bundesrepublik einsetzten, für gelebte Demokratie sowieso, ganz allgemein für den Fortschritt und gegen die Verkleinbürgerung der Welt, die angesagt war. Das war damals.

Und dann fragten wir uns, welche Funktion ein solcher amerikanisch dominierter Slang heute hat. Heute entspricht er der kommerziellen Bewußtseinsindustrie, die angeführt von Hollywood und der Pop-Musik, über Werbung, vor allem im Tourismus und der Verwendung englischer Ausdrücke für neue Produkte oder Verfahren die deutsche Sprache überschwemmt, ganz ohne sich die Mühe zu machen, dafür deutsche Begriffe zu erfinden, ja schlimmer noch, daß landläufige deutsche Wörter gar nicht mehr benutzt werden, sondern gleich die englischen, wenn in eigentlich deutschen Sätzen von bed und love und car gefaselt wird. Längst sind ja die Anglizismen heute zu einer rückschrittlichen Angelegenheit geworden, dem sich Überlassen des „american way of life“, wie die neuen Spießer sprechen, die sich damit angeblich von anderen abheben wollen und doch nur ihre Angepaßtheit an Moden und den Zeitgeist ausdrücken. Wenn ein 1945 geborener Schriftsteller, der um die Zusammenhänge von Sprache und Denken weiß, dabei so ahnungslos sein altes Selbst fortschreibt, ohne seine Sprachverwendung zu reflektieren und die veränderten Koordinaten wahrzunehmen, dann ist uns das sehr bedenklich und das haben wir ihm in Basel auch gesagt.

www.schweizerbuchpreis.ch

www.buch09.ch

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