Die Preisübergabe an Liu Xiaobo war auch in China noch im Internet zu verfolgen – Dann schlug die politische Zensur zu: völlige Sperrung aller Nobelpreisinformationen

Über Liu Xiaobo muß man nichts Rechtfertigendes sagen. Diesen Friedensnobelpreis, der ja mit einer gewaltigen Geldmenge verbunden ist, die sicher den chinesischen Dissidenten zugute kommt, hat endlich wieder ein direkt von Zensur und Terror Betroffener erhalten und kein Repräsentant des öffentlichen Lebens. Allerdings weiß keiner, ob Liu von seiner Preisübergabe erfahren hat. In China ist jetzt eine auch für die Regierung nicht überschaubare Situation eingetreten. Denn inzwischen weiß man, wie sehr die chinesische Regierung Druck auf das Nobelpreiskomitee ausübte, als Liu überhaupt bei den potentiellen Preisträgern genannt wurde. Und – einigermaßen – naiv haben diese Politiker wohl geglaubt, sie könnten in westlichen Demokratien nichtstaatliche Stellen derart einschüchtern.

Anders ist nicht zu erklären, wie wenig vorbereitet das offizielle China auf den Preis für den Schriftsteller und Verfechter des freien Wortes und unbeugsamen Kritiker der gegenwärtigen chinesischen Führung war. Denn tatsächlich konnte man die Bekanntgabe der Ehrung des inhaftierten Liu Xiaobo auch in China noch mehr als eine halbe Stunde live erleben, bevor die technischen Möglichkeiten griffen, alles, was mit den Nobelpreisen zu tun hat, aus dem Netz zu entfernen. Uns sagte man, daß, wenn man allein „Nobel“ im chinesischen Netz aufrufe, die Meldung käme, daß aus ’rechtlichen und staatstragenden Gründen` diese Seiten gesperrt seien. Im Wortlaut heißt es bei der größten chinesischen Suchmaschine Baidu: „Die Ergebnisse entsprechen nicht einschlägigen gesetzlichen und politischen Regelungen und werden deshalb nicht angezeigt.“ Auch die englischsprachigen Sender Honkongs brachten keine Information über den ersten Nobelpreis für einen in China lebenden Chinesen, denn der Literaturnobelpreis für Gao Xingjan im Jahr 2000 erhielt ein Exilchinese, der in Paris lebt und hat nicht diese enorme politische Bedeutung für das gesamte China, die der Friedensnobelpreis für Liu Xiaobo ausmacht, den man nun zu unterschlagen versucht. 

Aber es gibt sms und Twitter und auf dieser Schiene geht ein Raunen durch China, dessen Auswirkungen überhaupt noch nicht einzuschätzen sind. Stille Freude ist noch die geringste Vokabel. So heißt es in einer Twitter-Meldung von Cui Weiping, die Dozentin an einer Filmhochschule ist: „Wir sind nicht einsam, Bruder Xiaobo. Es hat sich gelohnt für Dich. Ihr Verurteilten mit gutem Herzen: Die ganze Welt ist bei Euch.“ Und auch die Frau des mitinhaftierten Hu Jia ließ ausrichten: „Ich freue mich für ihn und für die chinesische Zivilgesellschaft.“ Und genau diese Gesellschaft ist der Stachel im Fleisch der Regierenden. Den mit Liu Xiaobo fühlen sich eine Menge Menschen in China geehrt. Alle die, die genug haben davon, keine eigene Meinung haben zu dürfen und auch, diese nicht aussprechen zu dürfen, sich nicht mit anderen zusammenschließen zu dürfen, keine Kritik äußern zu dürfen, nicht schreiben zu dürfen, was sie für sich und für die Entwicklung der chinesischen Gesellschaft erkennen.

An Liu Xiaobo ist noch etwas anderes zu bewundern, was auch erklärt, daß radikalere Exilchinesen gegen die Preisvergabe an ihn waren und im Vorfeld sich beim Nobelpreiskomitee sich genauso gemeldet hatten wie die Regierung. Der auch bei uns sehr bekannte Künstler Ai Weiwei hat weitergetragen, was alle Freunde des inhaftierten Preisträgers sagen, wenn sie von ihm als „einem sanften und sehr rationalen“ Menschen sprechen. Er ist nämlich genau nicht das Haßobjekt eines militanten Gegners der Regierung, sondern – wie er es als PEN-Präsident auch ausübte – einer, der tatsächlich an die Macht des Wortes glaubt, der in sanften Worten seine Wahrheiten sagt, die wie Nadelstiche die offiziellen Lügen entlarven.

Für andere ist das nicht genug und darum werden gewisse Exilchinesen Xiaobo vor, er sei zu versöhnlich gegenüber der Regierung. Ein starkes Wort, wenn es einem gilt, der für ein Jahrzehnt ins Gefängnis geworfen wurde. As es ausdrückt, ist, daß sich Liu gegen Waffengewalt ausgesprochen hat und einfach auf den langsamen Prozeß der Überzeugung von Menschen baut. Umso schlimmer, daß er mit den gegenteiligen Argumenten verurteilt wurde. Er habe sich nämlich an einer antichinesichen Verschwörung beteiligt. Der Nobelpreis ist also auch ein Fanal, die Rechtsgrundlage seiner Inhaftierung weiterhin öffentlich anzuprangern.

Und darin hat sich der PEN, insbesondere der deutsche PEN hervorgetan! Darum gibt es mit dem großen Preisträger Liu Xiaobo auch einen kleinen und der heißt PEN-Deutschland. Der hatte am 28. Juli einen Offenen Brief geschrieben, den auch der Weltexpress unterzeichnet hatte: 

„OFFENER BRIEF

An den Bundespräsidenten, Herrn Dr. Horst Köhler

An den Präsidenten des Bundestages, Herrn Prof. Dr. Norbert Lammert

An die Bundeskanzlerin, Frau Dr. Angela Merkel

An den Präsidenten des Bundesrates, Herrn Ministerpräsident Peter Müller

28. Juli 2009

Liu Xiaobo (53), der ehemalige Präsident des Unabhängigen Chinesischen PEN-Zentrums, ist seit sieben Monaten seiner Freiheit beraubt, ohne dass ein legaler Prozess geführt wurde.

Eine Anklage wegen „Untergrabung des Staatsgewalt“ wurde erst kürzlich erhoben. Es droht eine demonstrativ harte, langjährige Freiheitsstrafe. Dazu paßt, dass zwei seiner Mitunterzeichner der Charta 08 ohne Verfahren in ein Arbeitslager geschickt wurden.

Das deutsche P.E.N.-Zentrum sieht mit großer Sorge und Empörung, dass die VR China mit der Verurteilung unseres Kollegen Liu Xiaobo offenbar auf einen Abschreckungskurs zusteuert, der noch einmal deutlich macht, wie wenig die Freiheit des Wortes im Gastland der diesjährigen Frankfurter Buchmesse gilt.“

Es sind die vielen kleinen Proteste, die, wenn noch nicht zur Abschaffung dieser Verhältnisse in China, dann doch zu öffentlichem Ansehen und einem solchen Friedensnobelpreis an Liu Xiaobo führen. Auch dem PEN sei Dank. Aber es geht weiter.

www.pen-deutschland.de 

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