„Die Kapitalisten sollen für die Krise zahlen“ – wieso denn?

Andererseits habe ich mich gefragt, was hinter einer solchen Forderung für ein Bild von unserer Gesellschaft steht. Offenbar nicht das, dass diese Gesellschaft eine Klassengesellschaft ist, wo es völlig logisch ist, dass die herrschende Klasse (die Bourgeoisie) wann immer möglich die beherrschten Klassen – insbesondere die Klasse der Lohnarbeiter – die Kosten ihrer Gesellschaftsordnung tragen lässt. Wozu sonst ist die herrschende Klasse die herrschende? Offenbar gehen die "kommunistischen" Autoren dieses Aufklebers von der Idee aus, dass die bürgerlich/kapitalistische Gesellschaft "an und für sich" eine der "Gerechtigkeit" und des sozialen Zusammenstehens sein müsse.

Da war doch der alte persische Philosoph Eshghi schon deutlich weiter als er sagte "In dieser Welt besitzen die Schwachen keine Fähigkeiten und die Starken keine Barmherzigkeit". Ob die "Schwachen" – heute das Proletariat und die ihm nahen Klassen – keine Fähigkeit besitzen, wird sich erst noch zeigen müssen; dass die Starken – zumindest als Klasse – keine Barmherzigkeit kennen, ist unbestreitbar. Warum also sollten sie für eine Krise zahlen, die zumindest für einen wichtigen Teil von ihnen zur eigenen Stärkung dient, indem sie unproduktiveren Klassengenossen verdrängt und die Ausbeutung der abhängigen Klassen – erneut vor allem der Arbeiterklasse – intensiviert? Solange die Kapitalisten die Kapitalisten und damit die herrschende Klasse bleiben, ist das unvermeidlich und für die Aufrechterhaltung der Klassenbeziehungen unumgänglich.

Nun ist allerdings die Wahrscheinlichkeit groß, dass die Autoren das alles wissen und nur glauben, sie müssten solche Forderungen erheben, um „die Menschen dort abzuholen, wo sie stehen“. In Wirklichkeit ist es jedoch so, dass es der Aufkleber kommunistischer Kleinstgruppen keineswegs mehr bedarf, um die Unzufriedenheit oder gar Empörung der Menschen – und hier nicht zuletzt ihrer Mehrheit, der Arbeiterklasse – über die Krise und ihre Abwälzung auf die an ihr Unschuldigen anzufachen. Was aber offensichtlich fehlt, ist ein Verständnis der Zusammenhänge, das über die – richtige – Annahme der Gier bei den Kapitalisten insbesondere denen des Finanzsektors hinausgeht und das die Voraussetzung dafür wäre, das vorherrschende Gefühl, der mangelnden Alternative und folglich Lähmung zu überwinden. Auch wenn sie kein theoretisches Verständnis davon haben mögen, wissen die Massen doch gewissermaßen instinktiv, dass die systemkonformen gewerkschaftlichen Kämpfe bestenfalls kurzfristige und kleine Verschiebungen innerhalb des von den antagonistischen Klassen anzueignenden Mehrprodukts bewirken.

Die Gier des Kapitals und seine Bereitschaft, mehr denn je vabanque zu spielen, ist letztlich notwendige Folge der seit langem fallenden durchschnittlichen Profitrate. Innerhalb des Rahmens des Kapitalismus ist eine durch gewerkschaftliche Kämpfe herbeigeführte „Verarmung“ der Kapitalisten auf die Dauer kein möglicher Weg zur Wohlstandsmehrung der Arbeiterklasse. Um es einmal ganz einfach auszudrücken: Die ganze Scheiße wird sich solange immer wiederholen wie die Arbeiterklasse ohne Bewusstsein von der Realisierungsmöglichkeit einer postkapitalistischen Weltordnung unter ihrer Führung bleibt. Die Tatsache, dass die Verteidigungskämpfe gegen die Abwälzung der aktuellen Krise auf ihre Schultern relativ schwach geblieben und zu keinen relevanten Siegen geführt hat, dürfte wesentlich damit zusammenhängen, dass die Arbeiterklasse die Vergeblichkeit des Reformismus zumindest spürt aber keine darüberhinausgehende Perspektive entwickelt. Die Aufgabe kommunistischer Organisationen wäre eben die, diese Perspektive als einzig mögliche zu verdeutlichen. Dabei stehen zu bleiben, an das parspektivlose Bewusstsein der Arbeiterklasse anzuknüpfen und es gar zu bestätigen, dient aber gerade dieser Aufgabe nicht.

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