Die „inzestuöse Mutterliebe“! – Serie: Über die Tragik von Missbrauch und Verstrickung in der Mutter-Sohn-Beziehung (Teil 2/2)

Thomas Sully: "Mutter und Sohn", 1840, Maße: 145 x 115 cm. Öl auf Leinwand, Galerie: Metropolitan Museum of Art, New York, Stil: Romantik

Ist nun die Mutter in ihrem Frauenselbstbild, ihrem Männerbild und als Folge in ihrer Sexualität traumatisiert, erlebt sich und den Mann bedrohlich, kann sie mit ihrem Partner wenig anfangen und wendet sich in ihrer Sexualisierung weniger gefährlichen Objekten zu. So kann der Soziologe Gerhard Amendt zu Recht über die Vorliebe der Mutter für den Penis ihres Sohnes schreiben. Verführerischer ist die inzestuöse Verbindung bei allein erziehenden Müttern, aber sicherlich nicht überall. Wenn man weiß, dass schon ein Säugling beim Wickeln ein steifes Glied bekommen kann, kann man sich einerseits die Faszination und andererseits das gleichzeitige Erschrecken einer sexualunterdrückten, prüden Mutter vorstellen. Noch schwieriger wird es für Mutter und Sohn bei den verbreiteten Peniswaschungen, begründet mit Reinlichkeit und Phimosevorbeugung, wenn der Sohn ein steifes Glied bekommen muss und dann die prüde Mutter fasziniert erschrickt.

In manchen Kulturen wird versucht, dieses Problem durch Beschneidung zu lösen. Neben der Sexualisierung etabliert sich die Sexualtabuisierung und dadurch oft eine Körperfeindlichkeit, die Mutter und Sohn besonders stark subtil inzestuös miteinander verbindet. Aber gerade durch das Sexualtabu und die Körperfeindlichkeit ist die Loslösung des Sohnes von der Mutter und Zuwendung zu einer neuen Frau und Partnerin erheblich behindert. Der Sohn muss zusätzlich in der Partnerin durch die Übertragung, da ja frühere Erfahrungen auf später übertragen werden, die Vereinnahmung und den Verlust des eigenen Selbst fürchten.

Als Ausdruck dieser Sexualisierung hat wiederum der wohl prüde Freud aus der Erwachsenenperspektive den Wunsch des Sohnes nach Körperlichkeit und Nähe als sexuellen Wunsch des Sohnes gegenüber der Mutter interpretiert und nach der Ödipus-Sage den Ödipus-Komplex benannt. Zusätzlich möchte ich auf die Bedeutung der Prophezeiung hinweisen. Ohne die Vorhersage von Vatermord und Inzest und deren Verhinderungsstrategien hätte beides voraussichtlich nicht statt gefunden. Die inzestuöse Sexualisierung wird in der Mutter-Sohn-Beziehung selten offen ausgelebt und mehr als gleichzeitige Sexualfeindlichkeit und meist als subtile Körperfeindlichkeit weiter gegeben. Ich habe allerdings schon einen Patienten gehabt, den seine Großmutter ab der Pubertät über mehrere Jahre hin zum Verkehr mit ihr missbrauchte.

Eine in ihrem Selbstbild als Frau und in ihrem Vater- und folglich Männerbild traumatisierte Frau bedarf dringend einer Korrektur durch einen ungefährlichen Ersatzvater. Das soll wie am im ersten Teil angeführten Beispiel der Sohn erfüllen. Dadurch mutiert der Sohn nicht nur zum Partner-, sondern zusätzlich zum Vaterersatz. Dass ein Sohn in dieser Rolle hoffnungslos überfordert ist, versteht sich von selbst.

Beim Vater entstehen nach der Geburt eines Kindes nicht nur als Folge der verminderten Zuwendung vonseiten seiner Frau, vor allem durch die besondere und enge Mutter-Sohn-Beziehung, Neid und Eifersucht. Normalerweise attackiert und entwertet der Vater den Sohn. Es entstehen massive Familienkonflikte. Diese treiben den Sohn oft umso mehr in die Arme seiner Mutter, die ihn vor den Angriffen des Vaters zu schützen sucht, wodurch der Vater in einem Teufelskreis den Sohn vermehrt attackiert. Die Angriffe gelten zusätzlich dem Sohn, da der Vater mit ihm um die Gunst der Mutter rivalisiert, und oft den Kürzeren zieht. Dann kann der Sohn zum Schutzschild für die Mutter vor dem Vater pervertieren. Derartige Verhältnisse können sich über Jahrzehnte erhalten. So sagte beispielsweise ein Sohn, der schon lange ausgezogen war, bei seinen Besuchen zu Hause zu seinem schimpfenden und meckernden Vater „”¦wenn es dir bei uns nicht gefällt”¦“

Jedoch schaffen alle massiv traumatisierenden Umstände Gegenbilder, die Hölle der Verstrickung wie in der Bibel ein Gegenbild des Paradieses. Die Schaffung des Gegenbildes der Familienharmonie ist am besten im biblischen Bild der „Heiligen Familie“ verkörpert. Der Sohn ist der Gott, die Mutter jungfräulich und der Vater steht duldend im Hintergrund und verdient das Geld, um diese Form der Familie am Leben zu erhalten, ganz im Gegensatz zur realen Familie. Solche Familien habe ich schon oft kennen gelernt. Die Familienharmonie wird vor allem zu Weihnachten, Mutters Geburtstag und Muttertag gefeiert. Die göttliche Rolle des Sohnes verkörpert das christliche Bild der Dreifaltigkeit Gottes, Vater und Sohn zugleich, verbunden durch den Geist der Heiligkeit.

Anderen Vätern wiederum, vor allem die, die selber von ihren Müttern vereinnahmt wurden, ist diese Form der Mutter-Sohn-Beziehung durchaus recht, weil das sie selbst schützt und sie ihre Freiheit bewahren können. Der Sohn ist also Stellvertreter des Vaters, um die „gefräßige“ Mutter zu befriedigen. Ich hatte einen Fall, wo die Mutter sich um ihren schizophrenen Sohn kümmerte in der Absicht, ihn zu retten, und der Vater während dessen Zeit und Gelegenheit hatte, sich um seine eigene Mutter kümmerte. Beide Ehepartner lebten auf diese Weise ohne offensichtlichen Neid und Eifersucht in einer gewissen Harmonie.

Hiermit komme ich zur Erlöserfunktion des Sohnes, im biblischen Mythos nicht nur der Erlöser der Familie, sondern allumfassend für die ganze Menschheit. Dieser Erlöser kann nicht einfach Familienvater werden, sondern muss all seine Kräfte als Priester für die Errettung seiner Schäfchen, anders ausgedrückt, seine „Reinheit“ für die Mutter bewahren. In der Priesterfunktion, in ihrer Sexualität schwer gehemmt, habe ich schon viele Männer erlebt, wenn sie auch oft nicht tatsächlich Priester werden, sondern öfter als Vertrauter, Zuhörer und Helfer fungieren. Oft besteht ein Wechsel in Anpassung und Durchbrechung der Rolle, so dass im Sinne einer Doppelmoral gelebt wird, und das Rotlichtmilieu bis zur Pädophilie faszinieren. Diese haben also ihren Hintergrund in einer rigiden Moral und Rollenzuschreibung, bedeuten Treue und Festhalten an den Ansprüchen der Mutter und Durchbrechen zugleich. Beim Pädophilen sehe ich in perverser Form zusätzlich den Hintergrund, im Kind die Reinheit der verlorenen eigenen Kindheit wieder zu finden. Dass in der Bibel Jesus Sohn und Vater zugleich ist, deutet auf seine Stellvertreterfunktion hin, wobei im Vater als Dritter, in der Triade, die Erlösung aus der engen Mutter-Sohn-Symbiose angestrebt wird.

Als Mann und Vaterersatz ist der Sohn natürlich zu klein und das Inzesttabu verhindert für beide Seiten eine befriedigende Beziehung, so dass die Mutter mit ihm unzufrieden bleiben und ihn entwerten muss. Der überhöhte Sohn schwankt also in seinen Selbstbildern zwischen Größe und Minderwertigkeit. Seine Tragik ist: Er wird zu einer Art Popanz. Das kann man manchmal tatsächlich wahrnehmen. Manche dieser inzestuös verstrickten Patienten erschienen mir im Gegenüber in meiner Wahrnehmung merkwürdig klein, gnomenhaft und alt, als wären sie ein ganz anderer als sie tatsächlich sind.

Hiermit komme ich zu den anderen tragischen Formen des Missbrauchs. In allen Formen kann man eine Art Schutz und Errettung für die Mutter sehen. Fühlt sich die Mutter verlassen, einsam, und das ist eine der Grundbedingungen der Traumatisierung, da sie sowohl in Nähe und Vertraulichkeit, als auch in ihrem Lebensaufbau allein gelassen wurde, darf sie ihr Sohn nicht alleine lassen. Sie wird ihn, oft auch ihre Tochter, als Vertrauten, dem sie all ihre Nöte mitteilen kann, ge- und missbrauchen. Er soll ihr all das wie die Nähe, Geborgenheit und Wärme geben, was sie immer vermisst hat und sie bei ihrem Mann nicht finden kann – der symbiotische Missbrauch. Er soll ihr die vermissten guten Eltern ersetzen als Schutz vor der bösen Welt – die Parentifizierung. Er soll ihre Lebensziele verwirklichen, die sie nie geschafft hat und sich nicht zutraut. Das gibt ihr einen neuen Lebenssinn, und sie kann stolz auf ihn sein, so wie sie es für sich selbst nie war. Und er soll sie beim Dauerstreit mit ihrem Mann unterstützen. In dieser Hinsicht funktioniert der Sohn auch meist, da er die Negativbilder über den Vater von der Mutter übernommen und dieser sie, wie oben beschrieben, bestätigt hat. Nach der Trennung ist er ein Mittel, um sich am Vater zu rächen. Viele Mütter steuern ihr Söhne bis zu ihrem Lebensende und in der verinnerlichten Form darüber hinaus.

Nur ist das alles nicht die Sache des Sohnes, für ihn völlig unangemessen. Einerseits übernimmt er all die Verpflichtungen und Verantwortung für die Mutter und ihre Ängste und Bedrohungen, andererseits muss er sich ständig dagegen wehren und ist in seinem eigenen Lebensaufbau völlig gehemmt und gelähmt. Eigene Schritte sind von Schuldgefühlen und Depressionen begleitet. Manch Sohn, aber auch manche Tochter zerstören sogar bewusst die Ziele ihrer Eltern. Sie gönnen ihnen nicht, sich mit ihren Erfolgen zu brüsten, während sie das ganze vorherige Leben ihnen nur Knüppel zwischen die Beine geworfen hatten. Ich sah schon manchen derartig von der Mutter besetzten Mann vorzeitig an Krebs sterben. Die Mutter hatte sich sozusagen körperlich in ihm als Krebs ausgebreitet und ihn zerstört. Einer sorgte dafür, dass sein Sohn möglichst weit von seiner Mutter entfernt lebt.

Für die eigene große Mutter etwas Besonderes und Großartiges zu sein, ist andererseits für viele Söhne verführerisch und beflügelnd. Deswegen gelingt es manchen, allerdings nach den Zielen der Mutter, sicherlich auch oft nach denen des Vaters, empor zu steigen, strahlende Erfolge im Leben zu erringen. Da der Erfolg oft Fremdziel ist, ist ihr Leben phasenweise oft von Depressionen, Ersatzbefriedigungen wie Süchten und Abstürzen begleitet. Meist jedoch werden die Söhne entwertet, wenn sie nicht die Ziele der traumatisierten Mütter erfüllen und nicht alles tun, deren Ängste zu verhindern. Je größer die Bedrohungen sind, desto großartigere Gegenbilder müssen erfüllt werden, an denen sie leicht zerbrechen können.

Obwohl sich ein ähnlicher Missbrauch zwischen Mutter und Tochter abspielen kann, werden die Söhne überwiegend mit den positiven Eigenschaften, Wünschen und Zielen besetzt, während die Töchter von einer traumatisierten Mutter mit ihren negativen narzisstischen Anteilen und Eigenschaften besetzt werden. Dann braucht diese als spätere Mutter einen Sohn als Hoffnungsträger, während die Beziehung zur Mutter sich bei ihrer Tochter wiederholt und sie ihr negatives Selbst durch Entwertung ihrer Tochter aufbauen kann. Auch entsteht bei einer Mutter zu ihrer erfolgreichen Tochter viel mehr Neid, sie rivalisiert häufiger, sodass sie diese zerstören muss. Beispielsweise erzählte mir eine MS-Kranke, ihre Mutter sei der stolze Schwan, sie das hässliche Entlein.

Zum Schluss noch kleine Fallvignetten: Ein Kroate konnte aus Ängsten sein Studium nicht abschließen. Er erzählte zur Vorgeschichte, der Vater sei ständig fremd gegangen und habe sein eigenes Verhalten der jedoch treuen Mutter vorgeworfen. Dann habe er sich getrennt und die letzte Freundin geheiratet. Jetzt müssten er und sein Bruder sich um die Mutter kümmern. Als ich bemerkte, jetzt sei die Mutter doch frei für einen neuen Mann, dann wären die Söhne als Partnerersatz aus der Verantwortung befreit, bemerkte er trocken „das würde Mutter nie tun, dann hätte Vater ja recht gehabt!“. In diesem Fall kommt hinzu, dass das Wort wie in dogmatischen Religionen als ewige Wahrheit über alle Zeiten und Umstände gilt und zusätzlich dieser Umstand seine Verstrickung beinhaltet.

Ein Beispiel für gleichzeitige Anpassung und Protest in einer symbiotischen Verstrickung: Ein Sozialarbeiter wurde schon vor seiner Geburt von allen Frauen der Familie, der Mutter, der Oma und zwei Tanten, hochgejubelt, „er trinkt nicht, raucht nicht, missbraucht nicht die Frauen und ist ein höflicher, zuvorkommender Mensch“. In dieser Hinsicht hatten die Frauen schlechte Erfahrungen gemacht. Er soff wie ein Loch, qualmte wie ein Schlot, aber verging sich nicht an Frauen, da er schwul war, und Höflichkeit war seine oberste Maxime. Im Examen trat er wegen Ängsten zurück, und die Mutter wurde wegen des Verdachts eines Schlaganfalls im Krankenhaus behandelt. Ein halbes Jahr später bestand er in aller Ruhe sein Examen. Als ich nach der Mutter fragte, antwortete er, sie sei vorsorglich zur Kur gegangen und er habe sie gut aufgehoben gewusst. Mutter und Sohn waren so verbunden, dass die Mutter körperlich der Schlag aus Angst traf, noch mehr im Leben ginge schief, und der Sohn nach üblen Erfahrungen aus Angst vor der Krankheit der Mutter und seinen Schuldgefühlen als weiteren Autonomieschritt vorerst nicht ins Examen gehen konnte – bis beide eine Lösung gefunden hatten.

Der Vater eines kleinen, weichlichen Mannes war sehr früh verstorben. Er wuchs bei Mutter und Großmutter auf wie der im ersten Teil der Serie oben angeführte 65-Jährige. Er sei zum Priester und König erzogen worden, aber wegen der Seppelhosen, die ihm angezogen wurden, hätten ihn die Mitschüler verspottet. Nach dem Abitur sei er weit weg gegangen, habe sogar eine Freundin und Sex gehabt, aber nach dem Tod der Mutter heimkehren müssen, um sich um die Oma zu kümmern. Danach schaffte er keinen Studienabschluss mehr, versuchte sich als Künstler am Rand der Armut in ständigen Ängsten, für Schwarzgeld vom Finanzamt erwischt zu werden. Nach dem Tod der Oma habe er das geerbte Haus in kürzester Zeit versoffen. So viel wert war ihm die Erbschaft. Heute leidet er unter Depressionen, Ängsten vor Gewalt, Sammelwut von überflüssigen Dingen, einer Wohnung voller Unrat (Messie), den er nicht wegschmeißen könne, und Magen-, Darmbeschwerden. Er leide darunter, sich nicht mit Frauen einlassen zu können. Vor Frauen habe er furchtbare Ängste vor Vereinnahmung. In einer getriebenen Euphorie schildert er unentwegt seine Erfolge und grinsend seine künstlerischen Kreationen und Provokationen, seine Manneskraft, vier mal am Tag onanieren zu können, und wirkte reichlich lächerlich. Auch in einer längeren Therapie konnte er seinen Prägungen nicht entkommen und führt ein schmerzvolles Randdasein.

Eine Ehefrau berichtete von der engen Beziehung ihres Mannes zu seiner Mutter und ihrem verbissenen Kampf, ihn für sich zu gewinnen. Natürlich wurde sie von der Mutter massiv entwertet. Aber eher schmunzelnd und triumphierend berichtete sie auch, dass die Mutter, als sie selbst schwanger wurde, wegen einer Scheinschwangerschaft im Krankenhaus behandelt wurde. So sehr und in Konkurrenz habe sich seine Mutter als Partnerin ihres Sohnes gesehen. Ein Patient berichtete, seine Mutter sei so eifersüchtig, dass sie nicht nur seine möglichen Freundinnen, sondern seine Freunde aufsuche und verunglimpfe.

Literatur:

Karl Haag (2006): „Wenn Mütter zu sehr lieben – Verstrickung und Missbrauch in der Mutter-Sohn-Beziehung“, Kohlhammer

Gerhard Amendt (1994):  „Wie Mütter ihre Söhne sehen“, Fischer

http://www.stern.de/panorama/:Das-Vaterbild-Männer-Söhne  2C/625840.html

Deborah P. Margolis (1996): “Freud and his Mother. Preoedipal Aspekts of Freud’s Personality”

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