Die Giftmischerin in uns – ein wahrer Kriminalfall als exzellenter Comic

Aus einem Verhörprotokoll der 43-jährige Gesche Margarethe Gottfried stammen diese erschütternden Zeilen. Der Kriminalfall mit fünfzehn Toten hat sich im frühen 19. Jahrhundert in Bremen ereignet und findet nun eine neue Bearbeitung anhand der Original- Dokumente. Die Süddeutsche Zeitung legt in ihrer Graphic Novels Bibliothek als Band 3 eine Kriminal-Geschichte vor, die ihresgleichen sucht. Um die tatsächlichen Ereignisse gestalteten Peer Meter und Barbara Yelin eine gelungene Rahmenhandlung. Junge Frau sitzt im Zug und ist unterwegs nach Rom. Sie unterhält sich mit einer alten Dame, die beiden scheinen vertraut miteinander. Der Zug fährt zunächst nach Hamburg. Vielleicht von Worpswede kommend, denn es muss sich bei der jüngeren, Lou genannt, um die berühmte Muse einiger hochkarätiger Denker des ausgehenden 19. Jahrhunderts, Lou Andreas-Salome, gehandelt haben, die wenig später den schwer sehgeschädigten Nietzsche in Rom getroffen und verzaubert hat. Doch das spielt hier keine Rolle. Die ältere Dame ist es, deren Lebensgeschichte das Buch bestimmt. Denn sie war als junges Mädchen in Bremen. Was sie ausführlich zu erzählen beginnt”¦ Eine Reportage soll die Schriftstellerin schreiben, einen Reisebericht über die schöne Hansestadt. Gezeichnet muten die ersten Seiten dieses Erinnerungsrückblickes gar nicht schön an. Graue Wolken wabern über Hafen und Stadt, die Menschen sind unfreundlich und geizen nicht mit frauenfeindlichen Worten. Der Pastor: „Sie schreibt? Sie sollte besser ihre Tage handarbeitend zubringen.“ Was so entmutigend beginnt, kann nur schlimmer werden. Die Stadt kennt nur ein Thema: die für den nächsten Tag geplante Hinrichtung der mehrfachen Giftmörderin Gesche Gottfried.

Meisterhaft navigieren uns Autor und Zeichnerin in den Abgrund, der sowohl an diesem Ort als auch in der Gesellschaft klafft – haben die Bürger geduldet, mit angesehen, wie eine aus ihrer Mitte vierzehn Jahre lang ihre Kinder, Eltern, Ehemänner, Nachbarn und Freunde vergiftete? Sind Frauen eigenverantwortliche und gleichberechtigte Wesen, oder latentes Teufelswerk? Die junge Autorin kommt am Geschehen, das die Stadt in Atem hält, nicht vorbei. Sie wird Zeugin von Gesprächen, Andeutungen und Hinweisen, denen sie mehr und mehr nachgeht. Dabei schlagen ihr Misstrauen und offene Ablehnung entgegen, als Frau, als Fremde und als Zeugin eines kollektiven Versagens. Mit weichem Bleistiftstrich erschafft die Berliner Zeichnerin Barbara Yelin eine Welt voller Rätsel, Schatten und Trauer. Das Gesicht der zum Tode verurteilten Gesche Gottfried, deren Geschichte in der Geschichte erzählt wird, ist ein vielschichtiges. Mehr Verwunderung als Boshaftigkeit, mehr Angst als Mordlust spiegeln diese Züge”¦

Licht und Schatten dominieren Bild und Text – was wir uns nicht erklären können, wollen wir nicht wahrhaben. Nicht unter uns dulden. Die Hinrichtung wird stattfinden. Dieses Ereignis hat die junge Schriftstellerin erschüttert und sie versuchte es, ihr Leben lang zu verdrängen – wie das Ende der Rahmenhandlung schlüssig erzählt.

Fazit: ein furchtbares und zugleich wunderbares Buch über den Schrecken, der im Menschen an sich wohnt, und den Schrecken, den er auszulösen vermag.

Bibliographische Angaben

Peer Meter (Text und Szenario), Barbara Yelin (Zeichnungen), Gift, 199 Seiten, Graphic Novels 3, Süddeutsche Zeitung Bibliothek, März 2011, 14,90 €

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