Die frühe Wiener Moderne residiert im Schwäbischen als „Kunst der Linie“ Serie: Ausstellungen von Gustav Klimt, Josef Hoffmann und Oswald Oberhuber in der Stadt Balingen (Teil 1/3)

Gustav Klimt: Beethovenfries, 1902 (Detail)

Wir allerdings sind erst jetzt gekommen, wo eine pfiffige Ausstellungsregie neben der Hauptausstellung in der erweiterten und modernisierten Stadthalle „Gustav Klimt: Beethovenfries – Zeichnungen“, auch noch eine Werkübersicht von Klimts befreundetem Kollegen Josef Hoffmann in der Zehntscheuer stattfindet und mit Oswald Oberhuber in der Rathausgalerie ein weiterer Österreicher aufgeboten wird, die jeder für sich, aber gemeinsam dennoch stärker betonen, welch Jungbrunnen und schier unglaubliches künstlerisches Kräftefeld die Hauptstadt der damaligen k. und k. Monarchie war, die bis unsere Gegenwart reicht. Daß die ausgesuchten Künstler, von denen Oberhuber erst 1931 geboren wurde, aber sich als Vertreter der Wiener Linie verstehen darf, unter dem Tenor „Die Kunst der Linie – Vom Wiener Jugendstil zur Moderne“ zusammengefaßt sind, ist grundsätzlich richtig, denn der Wiener Jugendstil ist anders als der von München oder Dresden niemals floral und verschnörkelt und sich in Farben ergießend gewesen, sondern, das schottische Vorbild aufnehmend, sehr auf die Linie und auch Geometrie bezogen gewesen.

Bei Gustav Klimt ist es allerdings hilfreicher, ihn erst einmal als Wegbereiter der künftigen Moderne zu bezeichnen und sich jetzt nur auf den Beethovenfries zu beschränken, der in seinem künstlerischen Schaffen die Hinwendung zum Gold als prägender Farbe bedeutet, ja eigentlich gar keiner Farbe, sondern Ausdruck der Immaterialität – berühmt geradezu sein „Kuß“ oder „Bildnis Adele Bloch-Bauer“. Nachdem Klimt mit anderen 1897 aus der Akademie ausgetreten war und die Secession gegründet hatte, die von Olbrich – siehe unsere Links – als weißer Kubus mit Goldkrone gebaut worden war, schwebte den Secessionisten eine Ausstellung als Gesamtkunstwerk vor – also unter Einschluß aller Künste wie auch Design, Musik und Poesie, Skulptur , Architektur und eben Malerei -, für die Gustav Klimt die musikalischen Bilder aus Beethovens Neunter auf die Wand bannen sollte, so wie es früher die byzantinische Malerei tat oder auch die Fresken der Renaissance und später die in Wien unbekannten mexikanische Wandmalereien. Für die innere Gestaltung war im Detail und insgesamt Josef Hoffmann zuständig.

Der Beethovenfries, der sich über drei Wänden in der Höhe der Secession erstreckte, d.h. die Reste davon, sind nun in Balingen zu sehen, wobei sich dies der Tatsache verdankt, daß im Zuge der Restaurierung und Neuanbringung des Originals in Wien, Kopien herstellen ließen, die dem Belvedere Wien gehören und die nun erstmals im deutschen Raum als Leihgabe ausgestellt werden. Es ist ein Kurzabriß der Menschheitsgeschichte und der Charaktere, die Klimt aus der neunten Symphonie heraushört und in seine Bilder gießt, wobei die Linie das Verbindende ist, denn der Fries ist ein Geflecht aus Figuren und Formen, die eine fließende Einheit bilden, wobei der Goldton eine weitere Verbindung schafft.

Es geht genauso um das Leid der Menschheit wie ihre Lösung aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit durch Kunst und Liebe. Dies stellt Klimt einerseits an schwebenden, fast durchscheinenden Genien da, andererseits an sehr diesseitigen Gestalten, den „feindlichen Gewalten“, die dann auch beim Betrachten, ob ihrer Bandbreite von Schön bis Häßlich den Schwerpunkt bilden. „Die Wollust“ zu bestaunen, wie sie sich, das Ungetüm im Rücken, an sich selber lustvoll festhält, oder „Die Unkeuschheit“, deren seliges Lächeln auf viel Freude deutet, das ist schon einmal etwas Besonderes. Gesteigert nur noch von „Der Unmäßigkeit“, die einen Angriff auf unser schlankheitssüchtiges Zeitalter darstellt, das man sich nur wundern kann, wie Gustav Klimt unsere Zeit voraussah. Und gerade diese Unperson hat den schönsten golddurchwirkten Rock und eine Haube auf, auf der die eingesetzten Materialien: Perlmutt, Gold- und Silberauflage, Applikationen, Spiegelteile, geschliffenes Glas, Halbedelsteine um die Wette funkeln. Fortsetzung folgt.

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Ausstellung: bis 26. September 2010

Die Kataloge zu den Ausstellungen sind alle im Jahr 2010 im Verlag Hirmer erschienen:

Gustav Klimt, Beethovenfries. Zeichnungen, hrsg. von Annette Vogel Der Katalog führt nicht nur alle in der Stadthalle gezeigten Werke auf, sondern gibt vor allem erst einmal einen Überblick über die Situation in Wien, aus der heraus die Secession geschaffen wurde, in der dann zum Beethovenfest vom April bis Juni 1902 die spektakuläre Beethoven-Skulptur von Max Klinger erstmals öffentlich zu sehen war und in Verbindung mit dem Beethovenfries den Komponisten im Kontext mit der 9. Symphonie zu einer olympischen Gottheit machten. Das ist ein feines Buch, das auch den Maler und Mensch Gustav Klimt angemessen würdigt.

Josef Hoffmann, Ein unaufhörlicher Prozess. Entwürfe vom Jugendstil zur Moderne, hrsg. von der Stadthalle Balingen und Peter Noever, MAK Wien, betont auch im Katalog, daß es sich um eine Ausstellung des MAK Wien handelt. Das ist gut so, denn in Wien lagern in den Depots nicht nur die vielen Zeichnungen, Entwürfe, fertigstellten Produktionen von Hoffmann, sondern die vieler weiterer. Im Katalog wird entwickelt, wie der Architekt Hoffmann zu der Idee seiner Zeit, das Gesamtkunstwerk kam, demzufolge er auch für die Inneneinrichtung der Secession verantwortlich war. Zwar bleibt der Katalog wie die Ausstellung auf Entwürfe und einige Ausführungen, Bestecke, Vasen, Stühle etc. beschränkt, aber desto mehr ergibt es eine gemeinsame Linie, die durch eine ausführliche Biographie ihren Rahmen erhält.

Oswald Oberhuber, Raum und Linie, hrsg. von Stadthalle Balingen, ist ein in Schwarz Weiß besonders schön gestalteter Katalog, der inhaltlich an Klimt und Hoffmann anknüpft und sich in den Kontext der permanenten Moderne stellt. Auch dies wäre ohne das MAK Wien nicht gelungen, aus deren Bestand die Bleistift- und Ölkreideblätter kommen.

Alle drei Kataloge zusammen, ergeben – wie die Ausstellungen – einen so umfassenden wie differenten Eindruck von der Wiener Moderne. Eben so, wie sie war.

www.stadthalle.balingen.de

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