Die Fratzen der Wiener Walzerseligkeit – Günter Krämer bevölkert Ödön von Horwarths „Geschichten aus dem Wiener Wald“

Szene aus dem Stück "Geschichten aus dem Wiener Wald" in dem es heißt: "Die Arbeit im alten Sinne rentiert sich nicht mehr. Wer heutzutage vorwärts kommen will, muß mit der Arbeit der anderen arbeiten."

Kleinbürgergesindel, sagen die einen, aber als arrivierte Bürger fühlen sich Oskar, der Fleischermeister (Sascha Nathan), der Zauberkönig und Besitzer der Puppenfabrik (Wolfgang Michael), dessen fesches Töchterl (Claude De Demo) Oskar sein eigen nennen möchte, die aber nicht zwangsverlobt sein will, stattdessen tief in der Brust und im Unterleib gegenüber dem leichtfertigen Alfred Gefühle und Triebe spürt, die als erstes zu einer Schwangerschaft führen, als nächstes zur Geburt, am Schluß zum herbeigeführten Kindstod, denn das Kind ist im Wege, wenn es mit dem Alfred nichts wird, der längst eine andere hat, die wenn es geht, die verläßliche Trafikantin ist. Das ganze wird umspielt, umspült geradezu mit Wiener Weisen, die von Männern mit Hüten, die der Bühne den Rücken kehrend die Wand ansingen und so eine völlig horvarthuntypische Funktion eines griechisches Chores erhalten, die immer schon wissen, daß alles übel ausgeht. Eine eindrückliche, wenngleich absurde Szene, die sich ständig wiederholt.

Wie Zerberus, den Höllenhund hat Krämer die Großmutter des Vorstadtcasanovas Alfred (Isaak Dentler) vorn an die Rampe gesetzt und sich einen Spaß daraus gemacht, diese kalte, ihren eigenen Enkel umbringende Frau mit einem Mann zu besetzen. Das paßt gut, wie Michael Abendroth im Großmutterkostüm an den Wolf im Grimmschen Märchen denken läßt und die echte Rampensau gibt, die dann auch noch das selige „Jadodihi“ als Schmachtfetzen hinterherwedelt. Denn eigentlich in keiner anderen Figur klagt Horvath die Wienerwald-Kleinbürgerwelt so an wie mit diesem kaltherzigen, im psychoanalytischen Sinn analen Charakter. Der zweite Aspirant, der Oskar, ist bei aller der Äußerlichkeit verhaftenden Studie und dem Kernsatz des Abends: „ Du wirst meiner Liebe nicht entgehen!“, dennoch ein geschlagener Hund. Denn er liebt und wer liebt, hat schon verloren, darin gleichen sich dieser Oskar, den Sascha Nathan fast ’normal` spielt, was dieser Figur eine größere Schärfe gibt, als jede Übertreibung zuwegebrächte. Wie eine teilnahmslose Oberfläche und eine gewisse naive Biederkeit darunter eine menschenverachtende Brutalität zeigt, hatte Helmut Qualtinger in seiner Fernsehverfilmung der „Geschichten“ schon 1961 auf den Punkt gebracht: „Ich wünsch Dir nie, daß du das durchmachen sollst, was jetzt in mir vorgeht. Und ich werde dich weiter lieben, du wirst meiner Liebe nicht entgehen.“

Das Mariandl ist hier nicht pfiffig eine Hoffmannsthal/Straußfigur aus dem „Rosenkavalier“, auch wenn das süße Wiener Mädel die ideologische Vorlage liefert, sondern Marianne, das Opfer von allen, auch von ihrem Vater, dem Zauberkönig, dem Wolfgang Michael eine so abgrundtief verwahrloste und vereinsamte Gestalt gibt, daß er selber als Hauptopfer erscheint. Da reißen sich alle um die offizielle Opferrolle, denn auch Alfred, der Filou ist ja eigentlich ein ganz ein Lieber und nur durch die Verhältnisse verdorben worden. Was Horvath in diesem Kleinbürgerstück, das die Arbeitslosigkeit und mangelnde persönliche und gesellschaftliche Perspektive Ende der Zwanziger Jahre thematisiert, uns durch jede der Figuren sagen läßt, ist, daß sie nicht ausbrechen können aus ihrem Käfig, in dem sie wie Mäuse das Laufrad bedienen, immer weiter, ohne End. Bis das Ende wirklich da ist. Denn dann heiratet der ehrpusselige Oskar die Marianne, die seiner Liebe nicht entgehen konnte. Auch einer der genialen Varianten, die Ödön von Horwarth sich nicht hat entgehen lassen, daß, was Ziel jeglichen Treibens der Kleinbürgeschichten ist, „unter die Haube zu kommen“, hier das Ende des Lebens bedeutet.

Internet: www.schauspielfrankfurt.de

Regie und Bühne: Günter Krämer, Kostüme: Falk Bauer, Musikalische Leitung: Frank Rosenberger. Mit Constanze Becker, Claude De Demo, Niuscha Etemadi, Josefin Platt, Maren Schwartz, Michael Abendroth, Michael Benthin, Isaak Dentler, Oliver Kraushaar, Wolfgang Michael, Sascha Nathan, Marc Oliver Schulze und Simon Zigah.

Aufführungen am 12. 20., 21., 29. Dezember 2009, am 7., 8. 27. und 31. Januar 2010.

Weil „Geschichten aus dem Wiener Wald“ auch dramaturgisch so gelungen ist, wurde das Stück mehrfach verfilmt. Wir empfehlen die Fernsehverfilmung von 1961, wo unter der Regie von Erich Neuberg Helmut Qualtinger den Oskar spielt, und Johanna Matz, Hans Moser, Fritz Eckhardt, Jane Tilden u.a. dabei sind und einen Wiener Schmäh auf die Mattscheibe zaubern.

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