Die einzige Cheftrainerin der Frauenbundesliga Tanja Schulte erwartet Ralf Kellermann: „Es kann gar nichts passieren, gleichzeitig kann alles passieren“ – Frauen-Fußballkrimi am Wochenende

Nadine Keßler und Ralf Kellermann in Lissabon © Thao Ho, Energo East Sport AG

Dank Spartensender Eurosport live dabei

Wenn da nicht die einzige Frau in der Chefetage der Bundesligatrainer auf „Kellermännchen“ warten würde – so nennen ihn einige Frauen in Wolfsburg. Die Frau, um die es geht, heißt Tanja Schulte und ist Cheftrainerin des BV Cloppenburg. Vor einer Woche schoss Tanja Schulte ein extremer Gedanke durch den Kopf. Schulte saß gerade relaxt vor dem heimischen Fernseher und verfolgte dank Eurosport das Endspiel der Champions League zwischen Wolfsburg und dem FF Tyresö, dass 4:3 (0:2) endete. Sie sondierte das CL-Finale aus beruflichen Gründen, schließlich erwartet sie mit ihrem Team am Sonntag im Rahmen des 21. Spieltages der Frauen-Bundesliga den Triple-Sieger des vergangenen Jahres. „Als dort 60 Minuten gespielt waren und Wolfsburg aus dem 0:2 ein 2:2 gemacht hatte, da hatte ich schon etwas Sorge. ‚Oh je, die machen Hackfleisch aus uns‘ habe ich mir gedacht", erklärte die 39-Jährige im Pressegespräch mit dfb.de.

Es war nur ein kurzer Augenblick, danach hatte Schulte schon ihre Zuversicht zurückgewonnen.

Der Vorletzte erwartet den Zweiten, der Aufsteiger erwartet den alten und neuen Champions-League-Sieger, der Abstiegskandidat erwartet den Titelaspiranten. Aber Cloppenburg hat am vergangenen Wochenende beim 2:2 in Potsdam für ein Ausrufezeichen gesorgt. Sie leben noch. Wer Tanja Schulte abschreibt, könnte böse überrascht werden. Tanja Schulte – eine die was wagt und nicht im „Nest der DFB-Frauenabteilung“ ihre Dienste feilbietet. Tanja Schulte, keine Frau der DFB-Zentralabteilungs-Quote 100%, sondern eine die aufsteht, wenn sie hingefallen und abgestiegen  ist. Mit den Frauen des Herforder SV gelang ihr 2010 der direkte Wiederaufstieg in die Bundesliga, wobei die Mannschaft über die gesamte Saison unbesiegt blieb und damit einen neuen Rekord aufstellte. In der ersten Liga angekommen  wurde sie nach neun Niederlagen aus neun Spielen entlassen. Seit dem 21. Oktober 2010 wurde sie die neue Trainerin beim Frauen-Fußballzweitligisten BV Cloppenburg. Eine harte Schule nennt man so einen Werdegang.

Kellermann: Wir haben überhaupt keinen Druck

Mit den Niedersächsinnen gelang ihr 2013 ihr dritter Bundesligaaufstieg. Mit so einer Cheftrainerin, die ihre Mädels mitreißen und die mitleiden kann, ist Cloppenburg natürlich nicht chancenlos, obwohl das Duell gegen die siegreichen Frauen von „Kellermännchen“ auf den ersten Blick ungleich sein mag. Der wiederum lässt grüßen. „Wir haben überhaupt keinen Druck, sondern genießen vielmehr die Situation“, gibt sich Ralf Kellermann vor der Reise in den Norden seiner niedersächsischen Heimat entspannt. Wohl wissend, dass das eigentliche Ziel bereits erreicht ist. „Durch den Gewinn der Champions League sind wir in jedem Fall auch nächste Saison wieder international dabei. Das ist unser großer Vorteil gegenüber den anderen Teams“, so Kellermann, der Sportliche Leiter.  „Insofern freuen wir uns, dass wir uns diese Ausgangslage in den letzten Wochen erarbeiten konnten. Und wollen jetzt natürlich auch alles dafür tun, um Cloppenburg zu schlagen und anschließend im eigenen Stadion unser Endspiel zu haben.“

Gigantische Aufholjagd mit acht Siegen

Sein kaufmännischer Boss, VfL-Manager Thomas Röttgermann, denkt da schon weiter. Mit seinem Volkswagen Logo „in future“ durch das Olympiastadion fahren und den „dritten Königsbecher“ mit den Händen hoch halten. Kellermanns Stellvertreterin im kaufmännischen Abteilungsmanagement des Frauenfußballs Andrea Burkhardt steht auf dem Karrieresprung nach Leipzig – die Männer von RB Leipzig haben es ihr angetan.  Kellermann mahnt und stellt fest: „Wenn die anderen straucheln, dann müssen wir zur Stelle sein.“ Seine Wölfinnen hielten Wort. Zwei Spieltage vor Saisonschluss liegen die Grün-Weißen bei der Vergabe der Meisterschaft nicht nur wieder aussichtsreich im Rennen. Sie haben den erneuten Titelgewinn – obwohl sie noch kein Mal in dieser Spielzeit an der Spitze standen – sogar wieder selbst in der Hand.  Grund ist eine gigantische Aufholjagd von zuletzt acht Bundesliga-Siegen in Folge, die am Sonntag in Cloppenburg in der TimePartner Arena, dem letzten Auswärtsspiel in dieser Runde, unbedingt fortgesetzt werden soll. „Denn dann folgt das große Finale“, so hofft Kellermann.

Kellermann dann doch etwas pfeifend im Walde

Die Konstellation vor dem vorletzten Spieltag könnte spannender kaum sein. Tabellenführer Frankfurt liegt einen Zähler vor dem VfL, einen weiteren Punkt dahinter Turbine Potsdam. Parallel zum Spiel der Grün-Weißen in Cloppenburg duellieren sich beide Konkurrenten. Ehe es am letzten Spieltag schließlich zum Knaller VfL gegen Frankfurt kommt. Wenn da nicht die Frau in Cloppenburg und der Altmeister in Potsdam lauern würden. Stratege Kellermann meint aber etwas pfeifend wie im Walde:  „Es kann wirklich alles passieren. Wie immer aber das Spiel zwischen Frankfurt und Potsdam endet: Für uns ändert sich dadurch nichts. Wir müssen unsere Hausaufgaben erledigen. “  Denn Kellermann rechnet und erwartet bei diesem Unterfangen harte Gegenwehr in Cloppenburg, eben durch diese Frau und ihre taffe Truppe, die im Abstiegskampf jetzt seit vier Spielen nicht mehr besiegt wurde.

Tanja Schulte, schlechthin eine Trainerinnen Amazone im Abstiegskampf unter lauter Mannsbildern

Kellermann bemerkt weiter pfeifend im Walde:  „Darauf müssen wir eingestellt sein. Cloppenburg kämpft um seine letzte Chance und ist darauf angewiesen, zu punkten. Für die Köpfe meiner Spielerinnen ist das aber keine schlechte Situation. Wir müssen hellwach sein, um unsere Qualität zum Tragen zu bringen.“ Dramatik pur: Steigt Cloppenburg ab oder wird Wolfsburg Meister? Seine Gegnerin Tanja Schulte ist sich sicher: „Wir können an einem guten Tag bestimmt etwas mitnehmen. Wir wollen uns nicht verstecken, das ist nicht unsere Art. Vielleicht gelingt uns erneut eine Überraschung. Wir sind jetzt seit vier Spielen ungeschlagen.“  Es ist dringend nötig, dass die Cloppenburgerinnen weitere Punkte holen. Die Mannschaft steht auf dem ersten Abstiegsplatz, ein Punkt hinter Duisburg, zwei hinter Hoffenheim. Drei Mannschaften kämpfen um den Verbleib in der Bundesliga. Einer muss zusammen mit dem VfL Sindelfingen den bitteren Gang in die Zweitklassigkeit antreten.

Alles oder Nichts – das Credo vom Cloppenburger Kader

Vor vier Wochen schien die Sache bereits klar: Cloppenburg muss runter. Dann allerdings hat das Schulte-Team mit einem sensationellen Schlussspurt begonnen – mit Vollgas Richtung Rettung. Während in Wolfsburg große Freude herrscht und Kellermann auf der Woge der Zuversicht und des Erfolges schwimmen kann, geht es nüchtern gesagt in der TimePartner Arena für Tanja Schulte und ihre „be-cloppten“ Girls um „Alles oder Nichts.“ Auf die Frage, ob das Aufbäumen der Norddeutschen nicht ein Tick zu spät gekommen ist, antwortet deren Hauptverantwortliche mit cooler Sachlichkeit : „Wir müssen selbst punkten, das wird schwer genug. Gleichzeitig müssen wir darauf hoffen, dass sich die Gegner unserer Konkurrenten noch entsprechend ins Zeug legen und nicht auf unglückliche Weise in den Abstiegskampf eingreifen. Das wäre sehr bitter."

Für den BVC Klassenerhalt sind drei Punkte nötig

Der VfL Wolfsburg ist ihrer Meinung nach noch eine andere Hausnummer als Turbine Potsdam. Ohne mit der Wimper zu zucken äußert Schulte, das was jeder Coach in solcher Situation von sich gibt: „Wir haben es nicht mehr in der eigenen Hand. Selbst wenn wir unsere beiden noch ausstehenden Begegnungen gewinnen.“  Aber das Restprogramm der Cloppenburgerinnen ist kompliziert. Zum Abschluss geht es zum SC Freiburg. Auch für den VfL geht es in den kommenden zwei Wochen um alles. Mit Siegen gegen Cloppenburg und zum Abschluss im großen Endspiel gegen den 1. FFC Frankfurt hätten die Grün-Weißen den Titel verteidigt und das Double geholt. In Cloppenburg ist die Situation etwas anders: Man ist sich bewusst, dass für den Klassenverbleib noch mindestens zwei Punkte nötig sind, womöglich sogar drei, also ein Sieg. Gegenüber dfb.de erklärte Schulte weiter: „Letztlich muss man sagen, dass der eine Punkt in Potsdam zuletzt womöglich sogar zu wenig war.“

Ehrliche Fan-Arbeit und sportliche Motivation

Mittlerweile wurde klar, dass der BV Cloppenburg noch Kraft hat, den Schluss zum Krimi werden zu lassen. Schulte mit einem kämpferischen Stolz: „Wir haben bereits jetzt 17 Punkte geholt. Das hat in den vergangenen Jahren fast immer gereicht, in dieser Saison nicht. Das ist bitter für uns. Zeigt aber, wir ausgeglichen die Bundesliga inzwischen ist." Fazit der Statistiker unter uns: Dramatik pur – ganz unten, wie ganz oben. Wolfsburg ist mit zwei Siegen Deutscher Meister. Cloppenburg ist mit zwei Siegen nicht definitiv gerettet. Wer statistisch mehr wissen möchte, sollte dfb.de anklicken. Wichtig zu wissen: Statistiken schießen keine Tore, steigern auch nicht die Zuschauerzahlen auf dem Platz, wachsende Zuschauerzahlen erreicht der Frauenfußball durch eine ehrliche Fan-Arbeit der Vereine und sportlicher Motivation der Teilzeit-Fußballerinnen auf dem Platz. Der BV Cloppenburg hält ein Zuschauerdurchschnitt von 1.308 Besuchern, der VfL Wolfsburg gibt  bisher einen Jahresdurchschnitt von 1.980 Zuschauern an. Aufgabe an die Statistiker: Berechnen sie den Wolfsburger Zahlendurchschnitt ohne das Eröffnungsspiel mit 8.249 Zuschauern und fragen sie sich, wo 6.000 Spaziergänger damals hergekommen sind.

Quellen: VfL Wolfsburg, BV Cloppenburg, DFB, Sponsors, WAZ, Kicker

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