»Die Bundeswehr führt keine Kriege« – Die Ausstellung »Krieg und Medizin« im Hygienemuseum Dresden soll keine pazifistische Ausstellung sein

Portrait von William Young, Henry Burland und John Connery, verwundet im Krimkrieg, um 1855. Der Krimkrieg (1853 bis 1856) war als erster moderner Stellungskrieg besonders verlustreich. Die meisten englischen und türkischen Opfer starben jedoch nicht an den Folgen der Gefechte, sondern aufgrund der katastrophalen gesundheitlichen Versorgung. Queen Victoria ließ die Kriegsinvaliden zu Propagandazwecken porträtieren.
Diese kontrastierenden Aussagen charakterisieren den Sinn oder Unsinn der Ausstellung »Krieg und Medizin« im Deutschen Hygienemuseum Dresden, die am 3.April eröffnet wurde und gemeinsam mit der Wellcome Collection London veranstaltet wird. David Wellcome war ein leidenschaftlicher Sammler medizinischer und medizintechnischer Exponate. Sie bilden den Grundstock der Exposition. Laut Erklärung von Museumsdirektor Professor Klaus Vogel soll im Mittelpunkt der Ausstellung die »niederschmetternde Janusköpfigkeit des Menschen« stehen: Einerseits sei er in der Lage und bereit, Gewalt gegen seine Mitgeschöpfe anzuwenden, sie zu verletzen und zu töten, andererseits riskiere er sein Leben, um anderen zu helfen und sie zu heilen. »Hingegen kann und will die Ausstellung die Frage weder stellen noch beantworten, welche der zahllosen militärischen Einsätze unserer Tage politisch legitim sind. Konsequent betrachtet sie das Verhältnis von Krieg und Medizin aus der Perspektive derer, die entweder zu Opfern militärischer Gewaltanwendung werden oder aber Verantwortung dafür tragen, dass deren Leiden gelindert werden.«
Da sind auch die Herren Militärärzte der Bundeswehr zur Stelle. Das Begleitprogramm eröffnete der Stabsabteilungsleiter des Bundesverteidigungsministeriums, Generalarzt Dr. Christoph Veit, mit einem Vortrag zur medizinischen Versorgung von Verwundeten, im Juni folgt Oberstarzt Dr. Karl-Heinz Biesold vom Bundeswehrkrankenhaus Hamburg zur »angemessenen Versorgung« in den Auslandseinsätzen traumatisierter Bundeswehrsoldaten. Es geht also nicht um Verantwortung von Politikern, Militärs und Rüstungsproduzenten für den Krieg, sondern um Verantwortung für den Schutz der Truppe und die Heilung Verwundeter, denn die ärztliche Tätigkeit im Kriege »steht auch hier unter der Maxime, die Versehrten wieder kampfeinsatzfähig zu machen.« (Ausstellungstafel) 
Klaus Vogel auf die Frage von junge Welt, ob die Offiziere erzählen werden, wie schön sie ihre Kriege führen: »Die Bundeswehr führt keine Kriege.«  Die Bundeswehr handle gemäß internationalen Beschlüssen, sie sei eine Parlamentsarmee, und sichtlich seien die Entscheidungen in der Demokratie von nur wenigen Kontroversen begleitet. Die Ausstellung solle nicht pazifistisch sein, aber eine bellizistische Grundhaltung könne er nicht ersehen. Vogel versichert, weder die Bundeswehr noch die Britische Armee hätten für die Ausstellung Geld gegeben. Sie seien Kooperationspartner. 
Was dem Besucher klargemacht wird, ist folgende Legende: Der Krieg braucht die Medizin. Das beginnt mit der Musterung für die Kriegsverwendungsfähigkeit, schließt die richtige Ernährung und Hygiene der Truppe ein, den Schutz vor Krankheiten, zum Beispiel vor der Syphilis, verlangt die sofortige effektive Versorgung bei Verwundungen, den Transport und die Pflege, die Heilung und Wiederherstellung der Kampffähigkeit und bei Verstümmelungen die Versorgung mit Prothesen und Hilfsmitteln, die körperliche Rehabilitierung und die Wiedereingliederung in den Arbeitsprozess oder bei dauerhafter Berufsunfähigkeit die Berentung. Je höher die Kriegstechnik entwickelt wird, um den Gegner zu schädigen und zu vernichten, desto mehr ist die medizinische Versorgung technisch und organisatorisch gefordert, um in kürzester Zeit die Verwundeten zu verbinden, zu bergen, notfalls zu operieren und wiederherzustellen. An Negativbeispielen wird demonstriert, wie schlimm es ist, wenn das nicht klappt oder gar nicht vorbereitet ist. Zum Beispiel starben im Krimkrieg 1853 bis 1856 mehr britische und französische Soldaten an der völlig unzureichenden medizinischen Versorgung, an Krankheiten, am Fehlen von Wasser, Lebensmitteln und Hygiene als auf dem Schlachtfeld selbst.  Bedeutende Verfahren, Geräte und Medikamente wurden entwickelt sowie Erfindungen inspiriert, zum Beispiel die von Ferdinand Sauerbruch entwickelte mechanische Unterarmprothese. Nicht ohne Bedauern wird vermerkt, dass unter Kriegsbedingungen die Behandlung nach neuestem medizinischen Standard nicht immer gewährleistet ist, und dass die ausgeklügeltste Logistik und neueste technische Ressourcen vor der entgrenzten Vernichtungskraft des Krieges kapitulieren müssen. Das schreit nach Abhilfe! 
Braucht die Medizin den Krieg? Hier gehen die Meinungen auseinander. Rein pragmatisch wird festgestellt, dass »der Krieg Ärzten die Gelegenheit bot, massenhaft praktische Erfahrungen zu sammeln. Er schuf ein Forschungsfeld für Mediziner, um die Effektivität chirurgischer Techniken zu testen oder die Wirksamkeit pharmazeutischer Substanzen zu beobachten.« Pathologen sezierten massenhaft die Leichname gefallener Soldaten. Die Erkenntnisse trugen zur Erweiterung des Wissens über Krankheiten und Verwundungen bei. Große Lehrsammlungen von Präparaten und Bildern entstanden. Plastische Beispiele kann der Besucher betrachten. 
Folgt die These: »Wissenschaftliche Erkenntnisse, die im Dienste des Militärs gesammelt werden, kommen zuweilen unter ethisch unvertretbaren Bedingungen zustande. … Die Menschenexperimente während des Zweiten Weltkrieges (!) bezeugen diese Pervertierung wissenschaftlicher Forschung besonders drastisch.«
Waren es »das Militär« und »der Krieg« oder die deutschen Nazis, die zu den Verbrechen an Kz-Häftlingen, an behinderten Kindern, Juden, Kriegsgefangenen und schließlich  zum Massenmord an Behinderten und zum Genozid an den europäischen Juden führten?  Beweise stehen in den Publikationen »Die Charité im Dritten Reich« (2008) und »Das Robert-Koch-Institut im Nationalsozialismus« (2008). Und die Mörder werden genannt. Auch im Begleitbuch zur Ausstellung belegen Andreas Frewer und Florian Bruns den Zusammenhang von Naziideologie und Menschenexperimenten. Unmenschliche Behandlung von Gefangenen und Zivilisten durch kriegführende Armeen sind keine Seltenheit. Die Einmaligkeit der Naziverbrechen ist damit nicht gleichzusetzen. Die »Vereinfachung« in den Schrifttafeln der Ausstellung ist unhaltbar. 2006 übernahm das Hygienemuseum Dresden vom Holocaust Memorial Museum Washington die Ausstellung »Tödliche Medizin. Rassenwahn im Nationalsozialismus«. Es hat bei sich selbst nichts gelernt.
Braucht die Medizin den Krieg? Christoph Veit meint, Krisen und Kriege hätten immer wieder zur sprunghaften Weiterentwicklung der Militärmedizin beigetragen. Durch sie sei der medizinische Fortschritt beschleunigt worden. Gorch Pieken vom Militärmuseum Dresden glaubt sogar, der Krieg als Lehrmeister habe bahnbrechende Entwicklungen angestoßen. Veit in der Doppelrolle von Arzt und »Soldat« fragt: darf sich die Medizin in den Dienst des Krieges stellen? – und antwortet: Sie darf und muss, denn auch ohne Sanitätsdienst seien immer Kriege geführt worden. Die Opfer waren nur höher.
Die Ausstellungsmacher versuchen einen Spagat: In Kriegszeiten bleiben wissenschaftliche Durchbrüche aus. Wenn die Versorgung der Soldaten im Vordergrund steht, besteht die Gefahr, die »zivile« Grundlagenforschung zu vernachlässigen. Jedoch: wenn die Kriegstechnik immer ausgefeilter wird, »ringen wir im Wunsch zu heilen darum, mit dieser Entwicklung Schritt zu halten und ihr gleichzeitig die Stirn zu bieten.« Das wird dann in der Sächsischen Zeitung so rezipiert: Krieg und Medizin bedingen sich gegenseitig. Alles klar. 
Dem Besucher wird vermittelt: militärische Vernichtungstechnik und medizinische Heilmethoden schaukeln sich gegenseitig hoch in einer Spirale ohne Ende, denn ein Ende der Kriege wird nicht unterstellt. Dem entspricht auch ein Vortragsthema: »Neue Kriege – neue Waffen – neue Hilfskonzepte: Der Schutz von Menschen in den Kriegen von morgen.« Thomas Gebauer, Gründer der Kampagne zum Verbot von Landminen, beschwört die Gefahr des globalen Bürgerkriegs, der »die Länder des Nordens auf den Plan gerufen« hat, um ihre Privilegien und Vormacht zu sichern. Die imperialistischen Interessen als Wurzel des Krieges und des Kolonialismus – nicht benannt. Kriege von morgen scheinen unvermeidlich zu sein.
In Hörstationen und Videofilmen erzählen Soldaten von ihren grausamen Erlebnissen in Vietnam, in Bosnien, in Georgien, im Irak und in Afghanistan. Kein einziger fragt: »Was wollen wir eigentlich dort?« Denkt keiner so oder war eine Schere dazwischen? Ein Beispiel erfährt man am Rande. Veit, im Jahre 2004 selbst als Medical Advisor in Kabul, berichtet von der katastrophalen Entwicklung, dass  junge Sanitätsoffiziere die Bundeswehr verlassen.  Allein im Jahre 2008  haben 120 Ärzte gekündigt. Die Motivation fehle. In Kundus gebe es keinen Arzt, der nicht einmal »angesprengt« worden sei. Nun versuche man, die Ärzte mit Prämien zu halten. Das sorge für Unruhe. Veit beklagt, »wir als Soldaten leiden unter der Grundeinstellung der Bevölkerung, dass wir die Müllmänner  sind.« Defätismus kann man dem General nicht unterstellen. Das Volk zieht seine eigenen Schlüsse.
Das Beste in der Ausstellung: Karikaturen und Zeichnungen von George Grosz, Konrad Felixmüller, Otto Dix und Max Beckmann, die den deutschen Militarismus anklagen. Literarische Zeugnisse kann man schlecht ausstellen. Ein Zitat hätte genügt: »Der Krieg soll verflucht sein« (Brecht, Mutter Courage und ihre Kinder). Aber Pazifismus soll nicht sein.
Kann der Besucher selbst darauf kommen? Er kann. Da sind die Bilder, die Filme, am Schluss die Photographien und Berichte von 31 Minenopfern aus Angola, Bosnien-Herzegowina, Kambodscha und Afghanistan, die der Künstler Lukas Eisele mit nach Hause brachte. Die Autoren der Ausstellung indes lassen die wissenschaftliche Souveränität vermissen, die über »Vermitteln« und »die Diskussion fördern« hinauszugehen fähig ist. So bleibt eine Apologie des Krieges.

»Krieg und Medizin, Sonderausstellung im Deutschen Hygiene-Museum Dresden«, bis 9. August 2009, www.DHMD.de

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Anmerkung:
Vorstehender Beitrag von Sigurd Schulze wurde zuerst in der junge Welt (www.jungewelt.de) am 16.04.2009 veröffentlicht.
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