Die anrührende Kriegsgeschichte aus dem Libanon als Comic – „Waltz with Bashir“ von Ari Folman und David Polonsky im Atrium Verlag

Die Musik muß man sich also dazudenken und das tut jeder, der den Film sah und wer ihn nicht sah und jetzt diese Geschichte im Bildband liest, der vermißt die Musik ja nicht – oder soll sich einen Walzer an dieser Stelle auflegen. Worin das Buch den Film überflügelt? Das ist für so Augenmenschen wie mich, die die Bilder so fesseln, daß leicht der Text überflogen wird und auf einmal der Zusammenhang fehlt, ganz einfach die Möglichkeit, noch einmal zurückzublättern, neu anzusetzen und überhaupt diese Nachdenkgeschichte portioniert und mehrmals lesen zu können. Ehrlich gesagt, ist das Optimale beides: das Buch zu lesen, den Film zu sehen. Begreifen kann man diesen Krieg auch dann nicht, erst recht nicht, aber man kann die Blessuren, die psychischen Folgeschäden für die involvierten Nationen konkreter fassen, die die Einsicht: „Aufhören“ immer drängender macht, wobei wir schon Zeiten hatten wie 1993, wo dies leichter erreichbar schien, bei der Friedenskonferenz in Oslo.

Nicht nur der gezeichnete und beschriebene Krieg ist real, die niedergeschriebenen Ereignisse in Bildern sind es auch. Kurz gesagt geht es um die fehlende Erinnerung eines israelischen Soldaten, Boaz, was den Libanonkrieg 1982 angeht. Er wühlt in seinem Kopf, aber es fallen ihm weder die Ereignisse noch der Ablauf ein, obwohl er mit seinen 19 Jahren damals jung genug war, in seinem Gehirn die Kriegserfahrungen zu speichern. Daß diese kein Gehirnversagen, sondern bewußte Blockade seines Unterbewußtseins ist, entschlüsselt sich ihm nach und nach. Denn er beginnt, seine eigene Vergangenheit aufzuarbeiten. Erst einmal nicht freiwillig.

Es ist der immer wieder nächtlich auftauchende Alptraum, in dem Boaz 26 Hunde hetzen und töten wollen, dem er nicht mehr des Tags standhalten kann und für dessen Entschlüsselung er sich auf die Reise macht und alles erst mal seinem Freund Ari, dem Regisseur und Texter dieses Buches, erzählt. Das war im Januar 2006 und so beginnt dies Buch, das wir hilflos Comic nennen, weil sich das so eingebürgert hat, der aber eigentlich eine Geschichte in Bildern ist, eine Bildergeschichte oder ein Bildband, aber deutsche Begriffe werden derzeit zu leicht übersehen und statt dessen das allgegenwärtige Englisch angezogen. So wird in einer Pressemeldung des Verlages dies anrührende Bildbuch als Graphic Novel bezeichnet. Nein, den Begriff finden wir nicht passend. Wir bleiben bei der Geschichte in Bildern oder eben Comic, was lange eingedeutscht ist.

In fahlen Farben beginnt es. Die Alpträume mit den Hunden sind auch durch deren gelbe Augen, die mit dem Himmel harmonieren, so grauslich und angsterregend. Das sind Todesfarben, dieses Grau, Anthrazit, Schwarz und eben fahles Gelb. Zeichner David Polonsky setzt die Farben ganz bewußt ein. In dem Gespräch zwischen Boaz und Ari sind die Farben zu dunklen Innenräumen Braun und ein Dunkelrot mutiert. Die Erinnerung, die Boaz nun benennt, findet in blaugefärbter Kriegswelt statt, die Hunde wieder in Gelb, das Gespräch in der Kneippe in Dunkel. Die Farbgebung strukturiert also auch die Geschichte. Denn viel später, wenn die Freundin in der Erinnerung erscheint, die ihn verlassen hatte, was ihn im Krieg um so rachsüchtiger machte, dann sind starke Rottöne adäquat und ein Rot gibt es auch bei der vorherigen Sequenz dem Feuer, aber nicht ein Tiefrot, sondern dieses orange Rot, das wir alle sofort vor unseren Augen sehen, wenn es um Explosionen und Feuer geht. Hier waren es die Freunde des Boaz, die bei der Schiffsexplosion in Flammen aufgehen.

Boaz muß nach Europa, um die Kriegsgenossen der damaligen Zeit aufzuspüren, von denen er sich Hilfe bei der Herstellung der verschütteten Erinnerung verspricht. Oft aber wird auch er zur Hilfe für seine Gesprächspartner, denn die Verdrängungsleistung, die Boaz aufbrachte, ist ein geübter Abwehrmechanismus vieler Menschen, um nicht der eigenen Schande, der eigenen Lüsternheit beim Abmetzeln der Gegner ins Antlitz zu sehen, die doch Menschen sind, wie man selber, die Freunde haben, Frauen und Kinder, Eltern und ein Umfeld, das sie liebt und braucht. Die Schritte, mit denen Boaz sich auf den Weg macht, sich selbst zu begegnen, führen über verschiedene Menschen. Das sollte man nicht erzählen und vorwegnehmen, sondern nur ausdrücken, daß man sich schnell auf die Geschichte in Bildern einläßt, weil schlicht erzählt wird und das Ganze nicht aufdringlich und pathetisch wirkt, sondern eher einer Fallanalyse gleicht, die uns mitaufatmen lässt, wenn am Schluß der Held, der negative Held, zwar Schlimmes von sich und über sich erfährt, aber nun eine Wahrheit hat, die seiner Beteiligung an den Massakers von Sabra und Shatila klärt, eine Wahrheit mit der er leben muß und kann.

Warum das so eindrücklich erzählt ist, hat auch mit der Form der Verfremdung zu tun, die computeranimierte Bilder besitzen. Sie schaffen eine Zwischenwelt, sind weder reine Zeichnungen, noch Fotografien, sondern eine künstliche Menschwerdung, die hier bei der Erinnerungsarbeit geradezu passen wird. Das ist ein Buch, das man sich selber schenken kann, mit dem man aber auch Jüngeren etwas an die Hand gibt, wo die ungewöhnliche Oberfläche sie in die Tiefe zieht. In der Tat sind die Dialoge richtig gut und die Fallanalyse, die hier Boaz vorantreibt, wirkt auf einmal wie ein Krimi, den er gegen sich selber inszeniert und aus dem er als Sieger gegen sich selber so wie für sich selber hervorgeht. Als Sieger über sein Verdrängtes. Das ist mehr als die meisten Menschen leisten. Sehr zu empfehlen.

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