Deutsche Sportfunktionäre: Moral gepredigt, Sonderzahlungen kassiert

Bunte Zettel mit Zahlen. Quelle: Pixabay, CC0 Public Domain

Berlin, Deutschland (Weltexpress). Die Wirklichkeit hinter dem Sommermärchen um die Fußball-WM 2006 in Deutschland ist kaum märchenhaft. Denn später kam heraus, dass dubiose Zahlungen und Geldflüsse mit im Spiele waren. Lange hielten die Macher an dem Märchen fest, in deutschen Landen sei alles sauber und korrekt abgelaufen. Ausreden, Ausflüchte, Abstreiten. Die Funktionäre von WM-Heilsbringer Franz Beckenbauer bis DFB-Verbandsboss Wolfgang Niersbach gaben ein klägliches Bild ab und widerlegten die Meinung, deutsche Sportfunktionäre seien gegen Mauscheleien, Korruption und Bestechung eher gefeit als diesbezügliche Funktionsträger aus Haiti oder Timbuktu…

Monatlich 3000 Dollar ohne Rechtsgrundlage

Dieser Tage wurde öffentlich, dass man nicht nur im Kommerz-Sport Nummer eins, dem Fußball, das Gefühl dafür verlieren kann, was rechtens und korrekt sein sollte: Helmut Digel, 72, hat über Jahre vom Leichtathletik-Weltverband IAAF ein Zubrot von monatlich 3000 Dollar kassiert. Ohne Vertrag, ohne Rechtsgrundlage oder Benennung von Gegenleistungen. Ausgezahlt bar gegen Quittung oder per Banküberweisung.

1993 war der Soziologe und Sportwissenschaftler aus Tübingen als Quereinsteiger von Reformkräften als Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV) installiert worden. Unbelastet von vorherigen sportpolitischen Gefechten oder Verstrickung in Dopingpraktiken der Vergangenheit, reüssierte der rhetorisch und intellektuell gegenüber biederen DSB- und Verbandsfunktionären hervorstechende Soziologie-Professor rasch. Wurde national von den Medien als Sprachrohr des deutschen Sports hofiert. Engagierte sich im Antidopingkampf. Wetterte gegen Korruption, predigte fair play und die ethischen Werte eines sauberen Sports.

Karriereknick durch Affäre Baumann

Im Leichtathletik-Weltverband holte ihn der damalige Präsident Nebiolo bald in den Führungszirkel des Council. Später leitete der seriöse Deutsche die Kommission für Marketing und TV. Doch seine Hoffnung, den Italiener Primo Nebiolo als Präsident zu beerben scheiterten. Weil er sich vor den Karren des überführten Dopers Dieter Baumann spannen und sich bis zur letzten Instanz für dessen Straffreiheit instrumentalisieren ließ.

Erst den knallharten Antidoping-Aufklärer mimen und dann bis zur Selbstverleugnung für die Unschuld trotz erdrückender Beweise eines schwäbischen Landsmannes plädieren – das kam bei den IAAF-Kollegen, denen er diesbezüglich immer wieder die Leviten gelesen hatte, gar nicht gut an. Sie entschieden sich für den Senegalesen Lamine Diack als IAAF-Boss. Jener war immerhin so clever, den wortgewaltigen Kritiker aus Germany bis zum Sportjahr in einem „IAAF-Günstlingskreis“, also Council, Marketing-Bereich, zu etablieren. Samt Sitzungs- und Tagungsspesen (250 Dollar pro Tag) sowie der erwähnten Sonderzahlungen!

Auch ein nationaler Karrieresprung war Digel nicht geglückt. Als DLV-Präsident und zeitweiliger Vizepräsident des Sport-Dachverbandes DSB schien er geeignet, die Nachfolge des sich zum IOC-Präsidenten aufschwingenden Thomas Bach anzutreten. Doch sein Zickzack-Kurs in der Affäre Baumann und die abgehobenen sportpolitischen Exkurse Digels schmeckten den Verbandskollegen nicht. Sie entschieden sich deutlich für den bisherigen Skiverbands-Präsidenten Alfons Hörmann als Chef der DSB-Folgeorganisation DOSB.

DOSB-Chef Hörmann kritisiert deutsche Vertreter

Jener brandmarkte Digel und den ehemaligen Fußball-Präsidenten Theo Zwanziger als Scheinheilige. „Wie kann es passieren, dass jemand auf der Weltverbandsebene nicht mitbekommt, nicht adressiert, nicht verantwortlich in irgendeiner Form exekutiert, was im Rahmen seiner Verantwortung als Präsidiumsmitglied notwendig gewesen wäre?“, rief er bei der Vollversammlung des Deutschen Olympischen Sportbundes. „Wo liegt die Verantwortung derjenigen, die uns in diesen Gremien vertreten?“ Digel warf er vor, dem deutschen Sport im Monatsrhythmus mitzuteilen, was besser zu machen sei, was schlecht gelaufen sei. „Auf Podien zu referieren und in den Medien zu parlieren reicht nicht aus. Wir müssen unserer Verantwortung gerecht werden, um die Glaubwürdigkeit wiederzuerhalten. …So dürfen wir Deutschland international nicht präsentieren und repräsentieren!“

Digel hatte auf die nun bekannten kriminellen Machenschaften der Regentschaft Diacks nur knapp bemerkt, er habe von vielen Details nichts gewusst. Nichts davon, dass Diack mit Hilfe der Marketing-Agentur seines Sohnes Papa Massata Diack ganz ungerührt ein System von Bestechung und Korruption am Laufen hielt. Wo Bewerber von Großereignissen oder TV-und Marketing-Rechten zusätzlich zur Kasse gebeten wurden. Wo für sechsstellige Beträge positive Dopingbefunde vertuscht wurden und die Zahler dann wieder bei Olympia oder Weltmeisterschaften bei der Hatz nach Gold und Geld mitmachen durften…

Gegen den 82-jährigen Diack ermitteln die französischen Behörden wegen Korruption, Bestechung und möglicher Geldwäsche. Gegen eine Kaution von einer halben Million Euro durfte er das Untersuchungsgefängnis verlassen und steht unter Hausarrest in Frankreich.

Sein Sohn steht bei Interpol auf der Fahndungsliste, wird aber von Senegal nicht ausgeliefert.

Als Digel im Vorjahr aus dem Günstlingskreis von Diack und der IAAF, die den Briten Sebastian Coe zum neuen Präsidenten kürte, ausschied, bemerkte er in einem Anflug von Selbstkritik, er habe lange Zeit ein Doppelleben geführt und zum System der Heuchelei gehört.

Nicht anders als Beckenbauer, Niersbach und Co. im Sommermärchen 2006.

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