Der Vierwaldstättersee feiert dieses Jahr 175 Jahre Dampfschifffahrt – Auf den Spuren des Schweizer Nationalhelden rund um den Vierwaldstättersee, Herzstück der Schweiz – Die Tell-Freilichtspiele in Interlaken feierten ihr 100-jähriges Jubiläum

© WELTEXPRESS, Foto: Elke Backert

Nicht nur Schillers Drama, auch dem „Weißen Buch von Sarnen“ zufolge, ausgestellt im Bundesbriefmuseum in Schwyz, dem „Flecken“, dem die Schweiz ihren Namen verdankt, soll Tell hier den habsburgischen Landvogt Geßler mit einem Pfeil tödlich getroffen haben.

Am „Kraftort der mythologischen eidgenössischen Gründungsgeschichte“ entstand neben der Tells-Kapelle von 1638 ein gedeckter Rastplatz mit „Apérohüttli“ und ein Pavillon mit Szenenschau, wo die Geschichte rund um Tell erleb-, sicht-, spür- und hörbar gemacht wird. Dass dort das Publikum den finalen Schuss mit Tells Armbrust auf Geßler, hoch zu Ross, abgeben kann, versteht sich fast von selbst.

Auch in der historischen Armbrustwerkstatt in Schwyz, der Wiege der Schweiz, wird einem der „Original“-Wilhelm Tell zur Seite stehen, wenn man sich beim Armbrustschießen üben will.

Bleiben wir eine Weile auf dem 1798 Meter hohen Plateau der Rigi, das die Zahnradbahn, die älteste Europas aus dem Jahre 1871, von Vitznau aus erklimmt. Da oben, mit Blick auf die gegenüber liegende Seite des Vierwaldstättersees, wird dem Kundigen bewusst, dass hinter den Schleiernebeln die Rütliwiese liegen muss. Jene legendäre Waldwiese, auf der die „Eidgenossen“ der Schweizer Urkantone Uri, Schwyz und Unterwalden im Jahre 1291 schworen, sich endgültig der Habsburger-Herrschaft zu entledigen und sich keiner Fron und keinem „Geßler“ zu beugen. Mit dem „Rütlischwur“ war die Eidgenossenschaft geboren.

Die Anziehungskraft von „Rütli“ und Rütlihaus mit original Urner Einrichtung und schönen Wappenfenstern war seit jeher auch über die Grenzen hinweg groß. Ein schwärmerisches Verhältnis zum stillen Gelände am See entwickelte der Bayernkönig Ludwig II. (1845-1886), der wiederholt dort weilte und dem damaligen Pächter ein silbernes Trinkgefäß zum Geschenk machte. Anlässlich ihrer Staatsvisite in der Schweiz im Jahre 1980 soll Königin Elisabeth II. von England, in Begleitung ihres Prinzgemahls, den Besuch als Höhepunkt des Programms gerühmt haben.

Tell-Legende hin, Historie her, die Rigi ist seit über hundert Jahren ein beliebter Ausflugsberg, von dem man eine prächtige Sicht hat auf die Gletscher majestätischer Drei- und Viertausender der Berner (Eiger, Mönch und Jungfrau) und Urner Alpen, auf das Gotthard-Massiv und den Pilatus, den 2.132 Meter hohen Hausberg von Luzern. Illustre Reisende wie Alexandre Dumas, Victor Hugo, Carl Maria von Weber, Felix Mendelssohn-Bartholdy und Mark Twain haben die Rigi bestiegen und wortgewaltig beschrieben – Regina Montium, Königin der Berge. Weshalb die Einheimischen sie als weiblich bezeichnen.

Als bekannter Ferienort am weitverzweigten „Lac des Quatre Cantons“, der seinen Namen den vier Kantonen verdankt, die er säumt: Schwyz, Uri, Luzern sowie den zwei Halbkantonen Nid- und Obwalden, ist Vitznau idealer Ausgangspunkt für einen Aufenthalt. Im 19. Jahrhundert ließen sich die Schönen und Reichen in Sesseln und Sänften auf die Rigi buckeln. Bis sich von Vitznau aus die ersten Zahnräder Europas bergwärts drehten. Jetzt fuhr man zum Gipfel. Tout le monde wollte die auf- und untergehende Sonne auf der Rigi erleben. Der englische Maler William Turner (1775-1851) hielt das Naturspektakel in Farbe fest. Heute zuckelt die elektrische Zahnradbahn die 6.800 Meter mit 18 Stundenkilometern über Rigi-Kaltbad hinauf bis Rigi-Kulm. Dann deutet ein Schild an, dass es zu Fuß weitergeht: „An Sommet – zum Gipfel – 5 Min.“ Auch die Rückfahrt schafft die Lok in der gleichen Zeit. Doch wird der belohnt, der den Abstieg auf Schusters Rappen bewältigt. Ein biologischer Lehrpfad entlang der Gleise zeigt Enzian, Alpenhelm, Viel- und Quirlblättriges Läusekraut, Zwergweide, Bewimperten Steinbrech und andere schöne Alpenflora. Wer am Aussichtspunkt in Rigi-Kaltbad schlappmacht, kann zur Bahn überwechseln, die hin und wieder aus dem Verkehrshaus in Luzern, das ist das Bahnen-Museum, die Dampflok holt.

Auch Weggis, ein bekannter Sommerkurort an der „Riviera der Zentralschweiz“, ist Haltepunkt der Rigi-Bahnen und erfreut sich eines milden Klimas, das Feigen und Edelkastanien reifen lässt und von den Luzernern als „ihr Gemüsegarten“ gelobt wird. Das alte Volkslied „Vo Luzärn gäge Wäggis zuo“ – „Von Luzern nach Weggis“ – bezeugt, dass der kleine Ort als Ausflugsziel schon immer beliebt war. Lange bevor das erste Dampfschiff in Weggis anlegte, brachten Postkutschen die Gäste in die noch heute herrschende vornehme Kuratmosphäre. Die Nachwelt gedenkt Marc Twain mit seinem Ausspruch, in Stein gemeißelt: „This is the most charming place we have ever lived in for repose and restfulness.” Bekannt ist Weggis auch für sein Rosenfest im Juli.

Inzwischen verkehrt auf dem Vierwaldstättersee die weltweit größte Raddampferflotte eines Binnensees, die neben den 16 eleganten Salon-Motorschiffen jedes Jahr über zwei Millionen Menschen nutzen, um das wechselnde Landschaftsbild zu erleben: palmenbestandene Gestade, lauschige Buchten, malerische Seepromenaden, fjordähnliche Einschnitte, die steilen Bergmatten der Voralpen sowie eine weitere Tellskapelle und den Schillerstein, einen natürlichen Fels, auf dem in güldenen Lettern dem deutschen Genie gehuldigt wird. Auch eine Tellsplatte wird sichtbar. Auf sie soll der Held abgesprungen sein, als er Geßlers Schiff durch stürmisches Wasser steuern musste und mit seinem Sprung auf die Felsplatte das Schiff führerlos den Wellen überließ.

Die fünf nostalgischen Seitenraddampfer (1901 bis 1928) sind im Sommer fahrplanmäßig täglich im Einsatz, um 38 Kilometer Seeweg zurückzulegen.

Beginnt man eine Seefahrt in Luzern, geht`s über die Horwer Halbinsel und Kastanienbaum nach Hergiswil, wo eine Glashütte besichtigt werden kann, und weiter nach Stansstad, wo die im Zweiten Weltkrieg angelegte Festung Fürigen (www.nidwaldner-museum.ch) am Wochenende auf Besucher wartet. Direkt am See in engen in schroffen Fels gesprengten Gängen und Räumen lebten Offiziere und Soldaten ohne Tageslicht wie in einem U-Boot, ohne je tätig werden zu müssen.

Stans, etwas oberhalb, historischer Hauptort des Kantons Nidwalden, lädt zu einer kurzen, aber unvergesslichen Fahrt mit der Oldtimer-Zahnradbahn von 1893 ein. An der Mittelstation Chälti steigt man um in die Luftseilbahn. Hat man das 1.898 Meter hohe Stanserhorn erreicht, heißt es nur noch: die Aussicht genießen, zuerst draußen, dann drinnen – im Drehrestaurant Rondorama. Es serviert das beliebte Nationalgericht Älpler Maggroni, Makkaroni mit Kartoffeln in Käse-Sahne-Sauce. Dazu futtert man Apfelmus. Sicher nicht jedermanns Sache.

In Kehrsiten ist es ein Muss, an Land zu gehen. Denn der Bürgenstock steht Rigi und Pilatus in nichts nach. 450 Meter fällt seine fast senkrechte Flanke zum See ab. Trotz Drahtseilbahn, erstklassiger Hotels, Juweliergeschäften, Parkplätzen mutet der schroffe Berg unzugänglich an. Tatsächlich befindet sich der Wanderer außerhalb der Hotels in einer unberührten Berglandschaft. Als Spazierweg empfiehlt sich der Felsweg entlang der steilen Hammetschwand. In etwa vierzig Minuten erreicht man den Gipfel auf 1.132 Metern mit überwältigender Aussicht. Zum Hammetschwandgipfel saust aber auch der höchste Personenaufzug Europas, ein Panorama-Lift. Damit die Aussicht länger bewundert werden kann, wurde die Fahrgeschwindigkeit von 62 Sekunden auf 3,15 Minuten gesenkt.

Ab Ennetbürgen fährt das Schiff weiter über Buochs, Beckenried, Gersau, Treib-Seelisberg nach Brunnen, einem der größten Kurorte am See mit dem schönen Hotel Waldstätterhof. Hier könnte man einen Teil des 35 Kilometer langen „Weg der Schweiz“ erwandern. Man kann aber auch weiterreisen über Rütli, Sisikon und Tellskapelle bis zur Schiffsstation Flüelen am Ende des Sees. Denn von dort kommt man nach Altdorf, Hauptort des Kantons Uri, von wo man wiederum Tells Spuren nachgehen kann. Zum Gedenken an den berühmten „Apfelschuss“ setzte das Städtchen dem Helden ein monumentales Denkmal, 3,55 Meter hoch und 95 Zentner schwer. Allein Sohn Walter misst 2,40 Meter. Voller Vertrauen blickt der Knabe zum berühmten Vater auf.

Im nahen Bürglen, Tells Geburtsort, zeigt das Tell-Museum die vier Modelle für das Denkmal und eine Menge Unbekanntes über den Schweizer Freiheitshelden. „In der Schule hören wir die Tell-Geschichte“, erzählt die junge Stefanie. „Obwohl wir wissen, dass sie ein Mythos ist, glauben wir daran. Wir wollen daran glauben.“ Außer der (ältesten) Tellskapelle besitzt Bürglen einen Tell-Brunnen. Ein Kreuz gemahnt an seinen tragischen Tod, als er ein Kind aus dem offenbar reißenden Schächenbach rettete und selbst dabei umkam. Im Innenraum der Tellskapelle an der Hohlen Gasse hat der Maler Hans Bachmann 1905 Tells Tod nachempfunden. An der Fassade hielt er Gesslers Tod für die Nachwelt fest.

Altdorf hat sich einen Namen gemacht durch die traditionellen Tell-Spiele, gefällt aber auch durch romantisches Ambiente. Goethe hielt sich gar dreimal in dem „Flecken“ auf, gab aber, wohl aus feiger Angst, seinen Posten als Staatsbeamter zu verlieren, den Tell-Stoff an seinen Dichterkollegen weiter, auf dass der ihn zu einem Bühnendrama mache.

Hauptstadt des Sees und mit rund 80.000 Einwohnern achtgrößte Stadt der Schweiz ist Luzern. Unübersehbar sind Brücken und Türme – allein von den 13 Türmen der Museggmauer, der alten Stadtbefestigung von 1408, stehen noch neun. Einer davon, der Zytturm, zeigt die Zeit an. Aber die Turmuhr schlägt die volle Stunde eine Minute früher als die anderen: Als älteste Uhr der Stadt genießt sie dieses Vorrecht. Vier Türme darf man besteigen und auf der Stadtmauer spazieren.

Ob die Besucher per Schiff oder Zug ankommen, zuerst fällt ihnen da, wo die Reuss aus dem See tritt, die gedeckte Kapellbrücke mit dem trutzigen achteckigen Wasserturm (um 1300) auf, Luzerns Wahrzeichen. In leichter Knickung führt sie über die Reuss, gilt als älteste noch erhaltene mittelalterliche Holzbrücke Europas und ist mit zahlreichen Giebelgemälden geschmückt.

Eine zweite gedeckte Brücke heißt Spreuerbrücke, weil man früher nur von ihr aus Spreu und Laub in den Fluss werfen durfte. Sie besitzt den Totentanz als Bilderzyklus in 65 Tafeln. Von dieser Brücke bietet sich ein hübscher Blick auf die Altstadt rechts der Reuss mit ihren bemalten Hausfassaden, hinter denen manch nettes Wirtshaus zur Einkehr einlädt. Auch Johann Wolfgang von Goethe logierte in einem solchen.

Philosoph Schopenhauer (1788-1860) krittelte über Luzern, es sei ein einfaches Nestchen, aber die Lage machte das wieder wett.

Nachdem Richard Wagner ein halbes Jahr lang im Hotel Schweizerhof logierte, das auch heute zu einer der ersten Adressen gehört, zog er um auf Tribschen, heute Wagner-Museum, und bezeichnete die Zeit, in der ihn Nietzsche und Ludwig II. besuchten, als seine glücklichste.

Der Globetrotter Mark Twain machte den „sterbenden Löwen von Luzern“ zum „traurigsten und bewegendsten Stück Stein der Welt“ und somit über die Grenzen berühmt. Zum Gedenken an die 1792 beim Sturm auf die Tuilerien gefallene Schweizer Garde Ludwigs XVI. wurde der Löwe – herzergreifend – in den natürlichen Fels gehauen.

Wer auf den sagenumwobenen Aussichtsberg Pilatus (2.132 m) fährt, erlebt die steilste Zahnradbahn der Welt, die 1889 in Betrieb ging. Stimmungsvoll ist eine Mondschein-Bootsfahrt über den See zu Alphornklängen. Über Bau- und Spieltechnik informiert man sich in der Alphorn-Werkstätte Stocker in Kriens bei Luzern.

Infos:

Reiseziel: Der Vierwaldstättersee mit Alpnacher- und Urnersee liegt in der Zentralschweiz südlich von Zürich. Fläche: 114 qkm; Breite: 800 m bis 3 km; Länge zwischen Luzern und Flüelen 38 km; Höhe ü. NN: 434 m; größte Tiefe zwischen Gersau und Beckenried: 214 m.
Anreise: Per Bahn nach Luzern oder Flug nach Zürich-Kloten mit Swiss, Lufthansa, Air Berlin.
Auskunft: Schweiz Tourismus in 60070 Frankfurt, Tel. (00800)10020030 (gebührenfrei), E-Mail: info@myswitzerland.com, www.MySwitzerland.comund www.vierwaldstaetterseeregion.com

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