Der Popstar der Hirnforschung bei der Premiere in Frankfurt. „Sein Leben. Mein Film.“ – Serie: Eric Kandel “Auf der Suche nach dem Gedächtnis” (Teil 2/3)

Eric Kandel in "Auf der Suche nach dem Gedächtnis"

Fernsehen geht vor Film. Denn, da der ’als anwesend’ versprochene Eric Kandel noch in Zürich zu einem Fernsehgespräch mit Beckmann weilte, mußte der Filmbeginn verschoben werden, damit er wenigstens nach dem Ende dabei sein konnte, um auf Fragen antworten zu können. Der spätere Filmbeginn war keine Strafe, denn Gert Scobel moderierte ein Gespräch mit der Regisseurin Petra Seeger und dem Kollegen Dusan Bartsch. Sie sprach über ihre Motivation zum Film, er erläuterte das Besondere im Lehrverhalten von Kandel und worin seine Forschungsleistung liegt. Da noch weitere Zeit zu schinden war, ging Petra Seegers nach entsprechenden Fragen ausführlich auf den Beginn der gemeinsamen Arbeit ein, wie aus der Idee, über Kandel einen Film zu machen, wirklich einer wurde. Mit dazu beigetragen hat auch der Wunsch Kandels, daß die Leistungen der Gedächtnisforschung mittels Hirnforschung im Film deutlich werden, mit denen er die Psychoanalyse im berühmten Bonmot vom Kopf auf die Füße stellen will, sprich: ihr eine wissenschaftliche Grundlage geben will. Drei Jahre lang sind Petra Seegers und Eric Kandel für diesen Film eine intensive Arbeitsbeziehung eingegangen: „Mit Eric Kandel kann man nur intensiv zusammensein oder gar nicht.“

Daß zwischen dem Film der Petra Seegers über das Leben und die Person des Eric Kandel und seiner Selbstsicht oder auch unserer Sicht auf ihn, dennoch kaum Unterschiede auffallen, das liegt in der Natur der Sache. Denn einerseits liegt eine Autobiographie des Wissenschaftlers vor, die wie der Film, seine berufliche Orientierung aus dem Leben, hier der Flucht aus Wien erklärt, und andererseits zeigen die Aufnahmen, die Petra Seegers mit der Person Kandel machte, eine solch offene, witzige, nachdenkliche, humorvolle Person, daß man ihn schon persönlich zu kennen glaubt, wenn er dann leibhaftig vor einem steht. Er strahlt das aus, was man heute „authentisch“ nennt und wenn wir in Jahrzehnten in Rückschau auf diesen Abend und die Filmvorführung unser Gedächtnis befragen, dann wird sicher eines auftauchen: ein herzhaftes Lachen. Uns hat sich am stärksten dieses spontane, laute, von innen nach außen drängende Lachen eingeprägt. Da ist der Film wie das Leben.

Dusan Bartsch berichtete – auch nicht unwitzig – wie ihn als jungen Wissenschaftler aus der Tschechoslowakei, in Wien ein Vortrag des ihm unbekannten Eric Kandel, von dem er nie gehört hatte, ausgehebelt hatte: „Plötzlich stand ein Mann da, der nicht über Daten oder Ergebnisse, sondern über Lernen und Gedächtnis redete“. Innerhalb von zwanzig Minuten entschloß sich Bartsch, seine bisherige Karriere hinzuschmeißen und Kandel nach New York zu folgen, wo er als Molekularbiologe tätig war. Auf das „Prinzip Ansteckung“ führt der heute in Mannheim tätige Wissenschaftler das Erfolgsrezept Kandels zurück, mit dem es ihm glückte so viele junge Menschen zur Mitarbeit mit ihm zu begeistern, was auch der Film eindrucksvoll dokumentiert. Die Leute scheinen viel Spaß zu haben beim Arbeiten.

Petra Seegers fügte hinzu, wie spannend für sie der Prozeß gewesen sei, mit einem der wichtigsten Gedächtnisforscher in seinem eigenen Gedächtnis zu forschen. „Er ist die beobachtete Maus. Er erinnert sich und wir schauen zu”¦ins dunkle Herz von Deutschland. wir bleiben im Film bei Kandel. Er kann in einem geschützten Raum mit uns, die eigenen Erfahrungen reflektieren.“ Es ist gut, sich dies noch einmal beim Betrachten des Films zu vergegenwärtigen. Denn „Auf der Suche nach dem Gedächtnis“ fordert vom Protagonisten nichts anderes als sich zu erinnern und zu diesen Erinnerungen heute Stellung zu beziehen. Das bedeutet, daß dem Film jegliche Legitimierung abgeht, er muß nichts beweisen, er muß nicht konstruieren, sondern kann im ruhigen Erzählfluss über das Erinnern ein Leben konstituieren. Und auch der Darsteller muß nichts legitimieren. Heute muß er auch nicht mehr anklagen. Erstaunlich ohne Zorn die eingeblendeten Bilder vom Heldenplatz, wo Wien im März 1938 Hitler huldigte und wo schräg gegenüber in der Burg nun der österreichische Bundespräsident Heinz Fischer stolz darauf ist, den vertriebenen jüdischen Flüchtlingsjungen als berühmten Wissenschaftler empfangen zu dürfen.

Wie wichtig dabei die Familieneinblendungen sind, zeigen Szenen, wo Kandel auch die Ankunft in Amerika und die erste Wohnung sucht. Sie ist klein, viel kleiner als in der Erinnerung. So ist das immer. Und als er überhaupt selber auf der Suche nach der Wohnung in Wien und dann denen in Amerika von der Frage der Enkelin überrascht wird, wo die Dusche gewesen sei, antwortet er: „Wir hatten keine Dusche“. „Wie seid Ihr sauber geworden?“ „Wir haben uns gewaschen.“ Auch hier kann man kurz und bündiger nicht die kulturelle, besser zivilisatorische Ignoranz der heutigen Jugend kennzeichnen. Umso wichtiger sind solche Szenen, die das Lernen über die Vergangenheit befördern, die ja noch heute die Realität der meisten Menschen auf der Erde ist. Als ob das Vorhandensein der Dusche die Voraussetzung für einen sauberen Menschen sei.

Im Film selber sind soviel Aspekte angesprochen, daß weder hier noch in der Filmrezension gebührend darauf eingegangen werden kann. Allein die Szenen in Wien, wo Kandel seine Leidenschaft für das Obere Belvedere, wo Klimt und Schiele hängen, genauso enthusiastisch vorträgt wie seine Anrührung durch Walzermelodien, die ihn, wo und wie auch immer glücklich machen. Glücklich hat der Film auch den Medizin-Kabarettisten Eckart von Hirschhausen gemacht. Wir haben gehört, wie er zur Regisseurin Petra Seegers sagte. „Dieser Film macht glücklich“. Das stimmt.

Wir haben uns aber seitdem gefragt, warum eigentlich. Warum macht uns der Film glücklich? Wir meinen, er heilt uns. Die Person und das Leben des Eric Kandel gibt uns Gelegenheit, einmal auch einen guten Ausgang eines schlimmen Anfangs, wie die Vertreibung des neunjährigen Eric aus Wien es ist, zu erleben. Im gewissen Sinne bringt die gesamte Person dieses Emigranten nach Europa das zurück, was der Ex-Präsident verächtlich als „das alte Europa“ kennzeichnete und was sich die Europäer im Umkehrschluß als „Alte Europäer“ stolz aneigneten. Wir erleben mit Eric Kandel das, was bürgerliche Kultur war, wie eine Vereinbarung von Beruf und Familie gesucht wird, wie trotz der Vielfalt das Streben nach Einheit vorhanden ist, und wie sehr der Mensch selber der Schmied seines Glückes ist, wie es ein altes Sprichwort sagt.

Und erst bei diesen Überlegungen merken wir auf einmal, daß wir im Film nicht vermißt hatten, was mit seiner Familie passiert ist. Was ist mit den Eltern geworden, dem Bruder? Wer aus dem weiteren jüdischen Familienkreis – der Vater kam aus Galizien nach Wien – ist in den Konzentrationslagern umgebracht worden? War Eric Kandel und seine Frau bei den Europaaufenthalten nie in den KZs. Überhaupt ist das Thema Judenverfolgung, kein Thema des Films. Vielleicht hätten alle diese Aspekte den Film überfrachtet. Es ist und bleibt ein Film allein über die Erinnerungen und die Person des Autors. Der Film der Petra Seegers über das Leben des Eric Kandel „Auf der Suche nach dem Gedächtnis.“ Das ist legitim. Aber für uns stellt er auch die Frage nach all den anderen, die nicht einen so glückhaften Lebensausgang hatten wie Eric Kandel. Dennoch sind wir im Film mit ihm allein glücklich.

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Filmtitel: Auf der Such nach dem Gedächtnis

Kinostart: 25. Juni 2009

Regie und Drehbuch: Petra Seeger

Kamera: Robert Winkler

Verleih: W-Film

Buch: Eric Kandel, Auf der Scuhe nach dem Gedächtnis, Siedler Verlag München 2006, Verlagsgruppe Random House

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