Der Bock als Hirte – „10 Gebote“ langweilen im Deutschen Theater

Roter Vorhang. Quelle: Pixabay, gemeinfrei

Berlin, Deutschland (Weltexpress). Florian Lösche hat ein eindrucksvolles Bühnenbild geschaffen. Säulen und Rundbögen in verschiedenen Grautönen deuten sakrale Räume an. Die Bühne dreht sich fast unentwegt und eröffnet unterschiedliche Spielstätten auf mehreren Ebenen. Kostümbildnerin Pauline Hüners hat die AkteurInnen adäquat und phantasievoll ausgestattet. Matthias Vogel belebt die Szenerie mit einfallsreichem Lichtdesign. Die SchauspielerInnen sprechen und agieren prägnant und überzeugend, und Jette Steckel hat die einzelnen Szenen effektvoll arrangiert.

Besser könnten die Voraussetzungen für einen spannenden, unterhaltsamen und gehaltvollen Theaterabend kaum sein, zumal das Thema, die 10 Gebote, Grundlagen unserer Ethik, geistreiche Inhalte verspricht.

15 AutorInnen haben, wie im Programmheft vermerkt, zu den 10 Geboten eine „zeitgenössische Recherche“ durchgeführt. Herausgekommen sind dabei Monologe, Dialoge, Theaterstücke und Filme, in denen es um Verstöße gegen die Gebote geht, um Auseinandersetzungen mit ihrem Sinn, um Missverständnisse oder auch beabsichtigte Fehlinterpretationen.

Zu jedem Gebot gibt es eine Szene. Die Zuordnung ist manchmal überraschend, aber meistens nachvollziehbar. Zum Abschluss folgt noch ein 11. Gebot, das sich nicht an die Menschen richtet, sondern an Gott: „Du sollst dich nicht überheben.“

Der Schöpfer erscheint im Schafspelz mit einem Schaf an der Leine, das sich bockig verhält und den Herrn zu Fall bringt. Der bedauert die Erschaffung des Menschen und gesteht, dass ihm dieses Werk misslungen sei. Ähnliches ist in der Bibel mehrfach nachzulesen.

In der Szene von Rocko Schamoni spricht der Allmächtige wie ein Penner, sagt aber nichts Neues oder Originelles. Auch die anderen Szenen enthalten kaum Bemerkenswertes. Dabei beginnen sie fast immer sehr spannend, weil die SchauspielerInnen sich ins Zeug legen und mit viel Spielfreude und Intensität Texte zu vermitteln versuchen, die sich als erschreckend unergiebig erweisen.

Den Anfang macht Benjamin Lillie im Schlafanzug mit einer Comedy-Show zum 1. Gebot: „Ich bin der Herr dein Gott. Du sollst keine anderen Götter haben neben mir.“

Lillie präsentiert die Geschichte vom Sündenfall als Fingertheater, spricht mit verstellter Stimme, erzählt auch von Jonas im Bauch des Wals und von sich selbst als kleinem Jungen, der aufhörte, im Bett zu beten, als er mit dem Onanieren anfing. Zunächst ist das komisch, aber der Text von Clemens Meyer zieht sich dann doch sehr in die Länge.

Ernst geht es weiter mit einem Beitrag von Sherko Fatah zum 2. Gebot: „Du sollst den Namen des Herrn, deines Gottes, nicht missbrauchen.“ Eine Beamtin (Lorna Ishema) verhört einen jungen Mann (Natali Seelig), der am „Ehrenmord“ an seiner Schwester beteiligt war.

Knisternde Spannung herrscht zwischen den beiden Akteurinnen. Natali Seelig gestaltet sehr überzeugend den aufsässigen, verschlossenen Jungen, der seine Unsicherheit großspurig zu überdecken versucht. Aber auch hier trägt der Text nicht bis zum Schluss der Szene.

Eingestreut sind zwei Filmausschnitte. Zum 3. Gebot: „Du sollst den Feiertag heiligen“ gibt es wenig aussagekräftige Kurzinterviews. Unfreiwillig komisch wirkt der Ausschnitt aus einem Dokumentarfilm von Jan Soldat zum 5. Gebot: „Du sollst nicht töten“. Männerköpfe sind schemenhaft zu sehen. Die Texte werden von Andreas Pietschmann, Markus Graf und Helmut Mooshammer nachgesprochen. Die Männer reden über ihren Wunsch, getötet und gegessen zu werden. Einer von ihnen ist anscheinend traumatisiert, nachdem er als Kind beim Schlachten eines Schweins zugesehen hat. Gegen das 5. Gebot wollen die Männer nicht verstoßen, denn sie wollen ja nicht töten, sondern sich opfern. Dazu ist im Hintergrund die Verabreichung des Abendmahls durch einen katholischen Priester zu sehen.

Unfreiwillige Komik entsteht auch bei einem Ausschnitt aus Dea Lohers Libretto „Weine nicht, singe“. Es geht um das 10. Gebot: „Du sollst nicht begehren deines Nächsten Weib, Knecht, Magd, Vieh, noch alles, was dein Nächster hat.“ Dieses Gebot richtet sich ausschließlich an heterosexuelle Männer, allenfalls noch an Lesben, aber heterosexuelle Frauen wie auch schwule Männer würden zwar vielleicht ihres Nächsten Knecht, Magd und Vieh, jedoch nicht sein Weib begehren. Die Interessen von Lesben und Schwulen werden allerdings in der Bibel ohnehin nicht thematisiert, und die im 10. Gebot erwähnten Ehefrauen zählen hier neben Angestellten und Tieren zum Besitz des Ehemanns/Arbeitsgebers/Halters.

Mit der Gender-Thematik hat sich offenbar keine/r der AutorInnen unbeliebt machen wollen. Beim 10. Gebot geht es denn auch nicht darum, sondern um Krieg und vor allem um drei Granatsplitter im Kopf eines Mannes, von denen so häufig opernhaft hochdramatisch die Rede ist, dass sie wie ein Running Gag erscheinen.

Gelacht werden soll, darf und kann beim 8. Gebot: „Du sollst nicht lügen“. Menschen in antiken Gewändern zerschlagen Steintafeln und ereifern sich dabei über die „Lügenpresse“ o.ä. Felicia Zellers Text ist nicht sehr einfallsreich, durch die gelungene Inszenierung und Darstellung jedoch wirkungsvoll.

Zum 9. Gebot: „Du sollst nicht begehren deines Nächsten Haus“ hat Mark Terkessidis einen Überblick über soziale Entwicklungen von den 1968er Jahren bis heute kreiert. Wiebke Mollenhauer und Ole Lagerpusch sprinten in hautengen, schillernden Ganzkörperanzügen über die Bühne und machen Pausen, um sehr engagiert über Hausbesetzungen, Migration, Geflüchtete, soziale Gerechtigkeit, Diktatur des Proletariats, Panzerknacker, Öko- und Bio-Trends, Frontex, Donald Trump oder die Panzerknacker zu debattieren. Tatsächlich gelingt es den beiden AkteurInnen ziemlich lange, ihre Dialoge als politisches Kabarett zu tarnen. Schließlich lässt sich aber doch nicht überhören, dass es sich bei dem Text eher um lockere Wissensvermittlung für den Schulunterricht handelt.

Das 4. Gebot: „Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren“ wird sogar eingehalten. Anscheinend bei einer Familienfeier sitzen Menschen beisammen und erheben sich, um Aussprüche ihrer Vorfahren zu zitieren. Der Weisheiten und des törichten Geschwätzes wird gleichermaßen fröhlich und respektvoll gedacht. Das rauscht so vorbei und ist ganz nett.

Insgesamt ist die vier Stunden dauernde Vorstellung ziemlich quälend. Die 15 AutorInnen, alle renommiert und mit diversen Preisen ausgezeichnet, haben allzu magere Beiträge geliefert.

„10 Gebote“, Texte und Videos von Maxim Drüner (K.I.Z.) und Juri Sternburg, Sherko Fatah, Nino Haratischwili, Navid Kermani, Bernadette Knoller, Anja Läufer und Claudia Trost, Dea Loher, Clemens Meyer, Rocko Schamoni, Jochen Schmidt, Jan Soldat, Mark Terkessidis, Felicia Zeller. Regie: Jette Steckel. Premiere war am 21. Januar im Deutschen Theater. Nächste Vorstellungen: 12. und 26. Februar 2017.

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