Das ottologische Album – Der Comicverlag edition moderne präsentiert in „R.I.P. – The Best of 1985 – 2004“ von Comic-Künstler Thomas Ott

„But sometimes this opposition, comes rising up in me,

This terrible imposition, comes blacking up my mind

And then I see a darkness.“

(Johnny Cash)

Tote schlafen selten fest. In „R.I.P. – The Best of 1985 – 2004“ erwachen sie zu neuem Leben. Angesiedelt in einer schwarz-weißen Parallelwelt zwischen film noir und kafkaeskem Horror zeigen die knappen Erzählungen ihre Antihelden auf dem Weg ins Verderben. Vom ersten Bild an lassen die mit diabolischem Humor gewürzt Kurzgeschichten das Unheil erahnen. Getrieben von einem (selbst)mörderischen Fatalismus wandeln die Figuren auf dem Weg in ihr Unglück. Zufälle verketten sich fatal, Alltagsgegenstände entpuppen sich als Todesfallen, Träume können tödlich sein.

Einem jungen Selbstmörder erscheint der Tod in Gestalt eines berittenen Mexikaners. Eine Madonna verspricht ihm ewige Liebe und der gesichtslose Reiter fordert ihn zur Rückkehr auf.Der Schriftzug „Death – Love – Art“ verziert eine der abgebildeten Vignetten. Tod, Liebe und Kunst verschmelzen zu makaberen Märchen, welche den Betrachter in ebensolcher Sprachlosigkeit zurücklassen, wie Ott sie seinen Figuren auferlegt. Die Erzählungen sind fast wortlos. Sprache tritt nur indirekt in Form von Schildern, Zetteln und Aufschriften auf. In den Gesichtern der Figuren hingegen zeichnen sich Verlangen und Schrecken mit manchmal expressionistischer Deutlichkeit ab. Ott kerbt Emotionen seinen Charakteren mit der gleichen Präzision in ihre Gesichter ein, mit der sein Schabmesser die weißen Umrisse in den schwarzen Karton ritzt. Diese Schabtechnik zählt zu den Markenzeichen des Künstlers, der auf seiner Website auch Kostproben seines Kurzfilm-Repertoires vorstellt. Otts cineastische Inspirationen sind unübersehbar. So könnte die dem Band „Dead Ends“ entnommene Erzählung „The Millionaires“ ein Produkt der Schwarzen Serie Hollywoods sein. In einem Plot angelehnt an die Noir-Klassiker „Detour“ und „The Postman always rings twice“ bringt ein Geldkoffer einem Besitzer nach dem anderen den Tod. Die Straße ins Nichts kennt keinen Endpunkt.

Makabere Märchen

Treten Kinder auf, wandeln Otts Geschichten sich in grausame Märchen, von denen manche an Umdeutungen literarischer Kindergeschichten erinnern. „La fianceé du lapin“ begleitet ein kleines Mädchen auf einer nächtlichen Traumreise, über die ein väterlicher Mond wacht. Nicht sie folgt dem weiße Kaninchen, ein menschenähnlicher Hase verfolgt sie. Vor einer Hasen-Versammlung erlebt das Kind eine mystische Wiedergeburt. Das Ende der gespenstischen Nacht führt durch eine verborgene Falltür zurück ins Kinderbett. Alles könnte ein Traum gewesen sein, würde nicht das runde Mondgesicht durch das Fenster blicken. Gespenstische Deja-vus hält „R.I.P.“ auch für Lesern bereit, die Thomas Otts Werk mit dem Sammelband erst entdecken. Mehr als einmal begegnet man den Protagonisten einer Geschichte als Randfiguren in einer anderen Erzählung wieder. Besser als die großformatigen, dünnen Einzelbände lässt der trotz seiner fast 200 Seiten handliche Band die Geschichten zu einem eigenständigen Mikrokosmos verschmelzen. So bringt „R.I.P. – The Best of 1985 – 2004“ das düstere Cabaret des Ausnahmekünstlers auch all jenen zum Greifen nah, die nicht auf dem Fumetto Comix Festival in Luzern leibhaftig darin eintauchen konnten. Für das vom 1. bis zum 9. Mai dauernde Festival stellte Ott neben „R.I.P.“ das von ihm gestaltete „Ottologische Zimmer“ aus. Eingerichtet in der Art eines medizinischen Kabinetts sollte der Raum an das Versuchslabor eines zweifelhaften Doktors erinnern, der seine Patienten mit bizarren Heilmethoden traktiert. In sogenannten ottologischen Schaukästen befreite der Künstler seine Charaktere aus der zweidimensionalen Welt der Buchseiten, um sie als Ausstellungsstücke zu zeigen.

Im Grunde aber gibt es Zweidimensionales in Otts Comics nicht. Jede Geschichte besticht auf eigene Weise durch Doppelbödigkeit und künstlerische Virtuosität. Auch ohne neues Material ist „R.I.P.“ eine lohnende Anschaffung, deren schaurige Schönheit bereits der Einband verkündet. Sieht man lange genug hin, scheint der Totenschädel auf dem Titel den Leser anzulächeln. Eine Einladung in das gezeichnete Grand Guignol, dessen Horror stets eine morbide Pointe krönt. „10 ways to kill Your husband“, ein verstörter Bugs Bunny, der sich im falschen Bild und nicht recht im Bilde weiß und die Galgenmusik der „Massacre Melodies“. Dazu steht mit blutigem Pinsel an die Wand geschrieben: „You know waht? I ´m the hero!“ Soviel (Größen)Wahn sei einem Künstler von Thomas Otts Format erlaubt.

Titel: R.I.P – Best of 1985-2004 ./ Autor: Thomas Ott/ Verlag: edition moderne/ Jahr: 2010/ Seiten: 192

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