Das Gespenst geht wieder um – Im Hygienemuseum Dresden philosophierte eine Konferenz über Glanz und Elend des Kommunismus

Klaus Vogel, Direktor des Hygienemuseums, konstatierte angesichts der verbreiteten Kritik  am Kapitalismus und breiter Forderungen nach gerechter Verteilung der Güter nach wie vor eine starke intellektuelle und emotionale Anziehungskraft des Kommunismus. Immerhin sei des Manifest der Kommunistischen Partei von 1848 soeben in das Unesco-Programm »Memory of the World« – das heißt: in das kollektive Gedächtnis der Menschheit –  aufgenommen worden, eines von 300 Dokumenten des Welterbes. Der  Kommunismus werde trotz seines Scheiterns zunehmend »gezeichnet im goldenen Abendlicht.« Eigentlich ganz einfach: »Ins Depot stecken wir, was wir nicht mehr sehen wollen«, doch sei es fraglich, ob der Kommunismus durch Musealisierung endgültig unschädlich gemacht werden könne.

Auch Thomas Krüger, Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung, vermerkte, dass viele Menschen Angst vor »dem System«, vor der Allmacht der Banken und Finanzmärkte, haben. Man müsse die Systemfrage klären, doch offenbarten Idee und Wirklichkeit des Kommunismus die Geschichte eines fortgesetzten Utopieverlusts. Zum Beispiel habe es das Volk der DDR 1989 satt gehabt, Versuchskaninchen eines gesellschaftlichen Großexperiments zu sein. Was folge für die »Ausgestaltung« des heutigen Kapitalismus »aus den Erfahrungen mit jenem Kommunismus, den so viele Gesellschaften bereits durchlebt haben und einige noch erleben?« Die Konferenz solle darüber nachdenken, welche Aspekte aus der Ideengeschichte des Kommunismus »einer Gesellschaftsordnung des 21. Jahrhunderts gut tun können.« Also eine ergebnisoffene Diskussion über Vorzüge und Nachteile des Kapitalismus und des Kommunismus? Wissenschaftliche Analyse der Erfolge und Fehler der kommunistischen Parteien beim Aufbau des »Kommunismus« in Europa, China, Vietnam, Nordkorea und Kuba, insbesondere der Ursachen des Scheiterns des »Kommunismus« in der Sowjetunion, in der DDR und in Osteuropa?

War die Frage richtig gestellt? Wo gab es den Kommunismus bereits? Der Irrtum der Konferenz begann bereits mit einer methodologischen Vereinfachung. Hier wurde jede Gesellschaftsform nach dem Kapitalismus als Kommunismus behandelt, ohne Modifizierungen und Zwischenstadien überhaupt zur Kenntnis zu nehmen. Auch Krüger hatte sich auf seine Erfahrungen »mit dem real existierenden Kommunismus der DDR in drei Jahrzehnten« berufen. Bei ein wenig Literaturkenntnis weiß der Gelehrte, dass Karl Marx in der Kritik des Gothaer Programms bereits von einer ersten Phase der kommunistischen Gesellschaft gesprochen hatte, in der die Verteilung nach Leistung erfolge, und von einer höheren Phase, in der es heißt: Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen. Daraus leitete die marxistische Wissenschaft zwei Stufen der kommunistischen Gesellschaft ab: Sozialismus und Kommunismus. Das letztere Stadium hatte noch keines der landläufig als kommunistisch bezeichneten Länder erreicht. Die Referenten der Konferenz bauten hingegen mit der Themenwahl ihrer Vorträge einen Pappkameraden auf, den es real nicht gab oder gibt, aber auf den man die Lanze einlegen kann. Man kann ihm alles als Versagen für etwas vorwerfen, was er für sich noch gar nicht beanspruchte und beanspruchen konnte. Auch hatte Marx noch von einer politischen Übergangsperiode gesprochen, »deren Staat nichts andres sein kann als die revolutionäre Diktatur des Proletariats.« Darauf ließ man sich nicht ein. Man focht also gegen den »Kommunismus als Staatswirtschaft in der DDR« (Karl-Heinz Paquè, Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg), gegen »Aufbau, Stagnation und Verfall kommunistischer Regime« (Gerd Koenen, Frankfurt am Main), gegen den »Kollaps kommunistischer Systeme« (Jerzy Mackow, Universität Regensburg), gegen den »deutschen Kommunismus« (Werner Müller, Rostock) und für »Lehren aus den Erfahrungen des Kommunismus« (Werner J. Patzelt, TU Dresden). Was sich bei Krüger noch moderat und tolerant angehört hatte, stellte sich bei den Referenten völlig anders dar. Da war die antikommunistische Grundtendenz nicht zu überhören.

Die Erfahrungen mit jenem »Kommunismus« ergeben ein abschreckendes Bild. Neu waren nicht die Feststellung der Fehler und Irrtümer der kommunistischen Parteien und der sozialistischen Länder sowie die Verbrechen und die katastrophalen Folgen des Personenkults um Stalin und Mao Tse Dong (Patzelt gibt als Preis des Scheiterns »des Kommunismus« in Rußland und China hundert Millionen Tote und »leicht das Zehnfache an zerstörten oder unglücklichen Lebensläufen« an – bei nicht allzu vielen nachhaltigen Errungenschaften). Gravierender war die Abrechnung mit der kommunistischen Weltbewegung, mit Lenin und den Bolschewiki, nicht zum geringsten aber mit der KPD und der SED. 

Notiert seien einige Thesen. Sozialismus oder Kommunismus seien nicht das Ziel der kommunistischen Bewegung gewesen, sondern nationale und kulturelle Macht- und Geltungsansprüche ihrer Führer. Die kommunistischen Parteien hätten ihre Kraft nicht aus den Krisen der kapitalistischen Weltwirtschaft  und aus den Klassenkämpfen gezogen, sondern aus der militärischen Niederlage der faschistischen Regime. Ohne Zweiten Weltkrieg kein Aufschwung der kommunistischen Bewegung. Die kommunistischen Parteien kamen nicht durch den Klassenkampf an die Macht, sondern durch die Nutzung der nationalen Unabhängigkeitsbewegungen. Ohne nationale Befreiungsbewegung kein Weltkommunismus. (Koenen)

Die Bolschewiki suchten nicht eine plurale kommunistische Idee, sondern sie machten sich den Marxismus als Begriff zu eigen gegen alle anderen Strömungen des Sozialismus.(Koenen). In der Atmosphäre des Hasses auf den Zarismus waren sie die Advokaten hemmungsloser Gewalt. (Baberowski).

Der Kommunismus als politische Bewegung habe nie eine Massenbasis und schon gar keine Basis in der Arbeiterklasse gehabt. Die KPD sei eine Rabaukenpartei, eine Propaganda- und Demonstrationspartei gewesen, die kein intellektuelles Profil entwickelt habe. Die innerparteiliche Demokratie wurde ausgeschaltet. Die Partei konnte sich nur dank der Finanzierung durch Sowjetrußland halten. Die deutschen Kommunisten  drangen nie in die Kernschichten der Arbeiterklasse ein. Das sei 1933 die Ursache ihrer sang- und klanglosen Niederlage gewesen. Die soziale Bodenlosigkeit der Kommunisten resultierte nicht aus ihrem Klassencharakter, sondern aus dessen Mangel. (Koenen)

Die strategische Neuausrichtung der Komintern und der KPD im Jahre 1935 auf eine Bündnispolitik sei die Taktik der kommunistischen Minderheit gewesen, um über Volksfront- und Aktionseinheitslosungen die Macht zu erschleichen. KPD und SED verstanden sich als Teil der kommunistischen Weltbewegung, die von der Sowjetunion abhing. (Müller)

Dass die Totalitarismustheorie zur Deutung des Wesens des Kommunismus herhalten musste, versteht sich. 
In seinem Fazit der Konferenz rief Patzelt zu objektiver Untersuchung der Fehler des »Kommunismus« auf. »Wir« sollten wie Ingenieure herausfinden, »warum es zur Havarie eines durchaus gut gemeinten Systems gekommen ist – und wie sich derlei künftig vermeiden lässt.« Aber Vorsicht! »Wer meint, er solle es der Gesellschaft zumuten, es noch einmal zu versuchen, dann möge er das tun.« Er, Patzelt, würde jedoch alle bedauern, die in dessen Umfeld sind. Ein zweites Experiment werde nicht anders ausgehen als das erste. Dann würde man mit Menschen umgehen wie mit Affen.

Die Diskussion ohne Tabus gehört zum Instrumentarium wissenschaftlicher Meinungsbildung. Wie Ideologie das Denken einengt, konnte auf der Konferenz studiert werden. Wo das Scheitern »des Kommunismus« und seines Wirtschaftssystems diskutiert wurde, wurden Planwirtschaft, Ineffizienz und Zerstörung der Innovationskraft als Ursachen benannt (Paqué). Sei es nun in ökonomischer oder politischer Hinsicht – Kalter Krieg und Embargo, Nato und Wettrüsten kamen während der gesamten Tagung nicht vor. Der Sozialismus und die Umwälzung der Eigentumsverhältnisse hätten keine Massenbasis gehabt, hieß es. Der Volksentscheid in Sachsen 1946 zur Enteignung der Nazi- und Kriegsverbrecher mit seiner Signalwirkung wurde völlig übergangen.

Wenn zum Beispiel Koenen den »Verfall des Weltkommunismus« analysiert, so ist es unwissenschaftlich, die Bewegungen in Lateinamerika für einen Sozialismus des 21. Jahrhunderts zu ignorieren. Wer Entwicklungstendenzen sucht und deuten will, könnte auch die neue Form der Volksfrontregierung in Chile unter Salvador Allende nicht übergehen. Gerade sie wäre ein Beweis für die schöpferische Kraft von Volksbewegungen mit sozialistisch-kommunistischer Orientierung, was Koenen aber gerade nicht beweisen will. Hier beißt sich die Theorie mit der Realität und führt das Ziel der Konferenz ad absurdum. Laut Patzelt ist der Sozialismus in China Etikettenschwindel und ist Kuba aus der Zeit gefallen.

Das Urteil der Konferenz über den Kommunismus war fragwürdig, weil es faktisch keinen Widerspruch gab. Zum Beispiel trat kein einziger marxistischer Wissenschaftler auf, weil von den Veranstaltern auch keiner eingeladen worden war. Ein wissenschaftlicher Meinungsstreit fand nicht statt. Der Erkenntnisgewinn war gering und war in dieser Hinsicht vermutlich nicht gewollt. 

Das Verdikt über den Kommunismus wurde von Professoren gefällt, die in der alten Bundesrepublik sozialisiert waren und, so sie heute aus Rostock, Magdeburg oder Dresden kamen, ihr Lehramt auf den Trümmern der DDR erlangt hatten. Koenen hingegen war einst Funktionär des 1985 aufgelösten Kommunistischen Bundes Westdeutschland und kennt sich in der Geschichte und Theorie des Kommunismus aus. Gerade sein Urteil über die kommunistische Weltbewegung war vernichtend. Zeugen der Anklage gab es, Zeugen der Verteidigung nicht.

Eine Frage wurde nicht diskutiert: Wird es im Kommunismus noch Geld geben? Was sagt Sender Jerewan? Der war nicht da. Zumindest diese Frage bleibt offen.

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