Bunter Hund und Weisse Nächte – Vor der Entführung: Unterwegs mit Kapitän Krzysztof Kotiuk

Hansa Stavanger-Kapitän Krzysztof Kotiuk (links im Bild) und Peer Schmidt-Walther vor dem MS "Werder Bremen".

Acht Uniformierte und Zivilisten drängeln sich wenig später im Salon des Containerfrachters. Stempel knallen auf Papiere und russisches Stimmengewirr schallt durchs Treppenhaus. Doch plötzlich Stille. „Was soll ich unter ´Farbe` eintragen?“ fragt einer der Offiziellen verwirrt: „Normalerweise sind Schiffsrümpfe schwarz, grau oder weiß gestrichen. Aber wie steht ´s mit diesem rot-grün-blau-schwarzen bunten Hund?“ „Nehmen wir Grün“, schlägt Kotiuk vor, die am Vorschiff dominierende Farbe des Bremer Bundesliga-Fussballclubs. Der stand auch Pate, als Heidi Lemke den 7100-Tonner auf den Namen „Werder Bremen“ taufte. Die Ehefrau des früheren Werder-Managers und jetzigen Bildungssenators Willi Lemke schleuderte am 30. Oktober 1999 an der Hamburger Überseebrücke die Sektflasche gegen den Rumpf. Für seine Farbigkeit sorgten Grafiker. Seit dem gilt der Frachter als „längste schwimmende Litfasssäule“ und buntestes Schiff der Welt. Eine clevere Werbe-Idee, die sich der Bremer Reeder Niels Stolberg auf seine Beluga-Shipping-Fahne mit der winkenden Wal-Flunke schreiben kann.

Wer zu spät kommt …

bestraft den das Leben? Die Taxifahrerin „entführt“ uns auf eine zeitraubende Kreuzfahrt durch den Hamburger Hafen. „Wann muss ich schon mal zum Eurogate am Burchardtkai“, entschuldigt sie die nächtliche Irrfahrt.

Versteckt hinter Containerstapeln duckt sich unser „bunter Hund“, den wir zunächst mit seinem dahinter liegenden Fast-Namensvetter „Hanjin Bremen“ verwechseln. Der 44 000-Tonnen-Riese ist überragend. Ohne Eile schlendern wir zur Pier. Auslaufen soll ja erst in einer dreiviertel Stunde sein.

„Dzien dobry, guten Abend!“ grüßt der Matrose im leuchtend orangefarbenen Overall. Sagt ´s und beginnt sofort gemeinsam mit der Praktikantin Michaela Hussmann von der Seefahrtsschule Warnemünde die Gangway einzuholen. „Da habt ihr aber Schwein gehabt“, überrascht uns Kapitän Kotiuk auf der Brücke, „wir sind nämlich früher fertig geworden mit dem Laden und haben nur noch auf euch gewartet.“ Nicht nur vom Treppensteigen sind wir jetzt sprach- und atemlos.

Statt uns in die gemütlichen Kammern zu verkriechen, zieht uns die nächtliche Revierfahrt auf der Elbe in ihren Bann – bis zum Einlaufen in die Nord-Ostsee-Kanal-Schleuse. „Ein braves Schiff“, verabschiedet sich der Lotse vor Brunsbüttel, das gerade sein Hafenfest feiert. "Werder Bremen" setzt noch eins drauf. Die bunte Szenerie ist komplett.

Nachtigallen und Großsegler

Am frühen Morgen wirst du sanft aus deinen Seefahrts-Träumen gerissen und glaubst im Wald zu sein. Und tatsächlich, es ist keine Illusion. Vogelgezwitscher dringt aus dichtem Ufergrün durchs geöffnete Kammerfenster. Nachtigallen schmettern ihre Weckmelodie in den jungen Tag. „Die singen hier alle Seemannslieder“, grinst Krzysztof Kotiuk und bittet zum Kaffee, dessen Duft die Brücke durchströmt. Der Blick schweift weit über saftige Wiesen, Weiden, Felder und Wälder. Hasen und Rehe äsen ohne Scheu an der Böschung – ohne sich von dem „bunten Hund“ beeindrucken zu lassen. Um so mehr die Kanal-Sehleute. Wie viel Mal ist unser Schiff hier wohl abgelichtet worden! Auch eine jugendliche Fan-Stimme dringt zu uns herüber: "Werder Bremen ist okay!" Ob er das auch bei der in den Vereinsfarben Gelb-Schwarz gestrichenen Charter-Schwester "Borussia Dortmund" gerufen hat, als sie kurz vorher den "Graben" passiert hat?

Hin und wieder lugt ein Herrenhaus romantisch durch die Bäume. Die siebenstündige Schleichfahrt auf der schleswig-holsteinischen Hochsee-Autobahn vergeht wie im Fluge – dank des Kontrastprogramms Landschaft satt und immer wieder Schiffe.

Nach der Holtenauer Schleuse wird ´s erst richtig schiffseng. Hunderte von Segeln paradieren auf der Förde. Die Kieler Woche läßt grüßen. Behutsam fädelt Kapitän Kotiuk seinen Dampfer durch die Kavalkade der aufgeblähten Windjammer. Hin und wieder lässt er auch schon mal das Typhon zur Warnung losdröhnen. Vor lauter Begeisterung über den dichten Mastenwald greift der Hobby-Segler immer wieder zur Kamera, erst recht, als er das polnische Schulschiff „Frederyk Chopin“ entdeckt.

Geradezu ein Klacks gegen diese Slalomfahrt ist das navigatorische Nadelör Kadetrinne zwischen Dänemark und Mecklenburg-Vorpommern. So jedenfalls sieht ´s Chief Officer Jacek Szymanski. Den freundlichen Riesen ficht das nicht an.

Gaumenfreuden contra Sturzacker

Schon gar nicht der aufziehende Sturm. „Werder Bremen“ fängt an bei neun Windstärken in den steilen, kurzen Ostseewellen unwillig zu bocken. Gischkastkaden expoldieren über dem Vorschiff. „Wie auf einem Sturzacker“, findet Jacek die Knüppelei und geht mit der Fahrt herunter. Unsere Mägen quittieren es dankbar.

Trotz allem: aus der Tiefe duftet es verlockend. Koch Andrzej Sikorski weiß, wie er dem Wetter ein Schnippchen schlagen und das Stimmungsbarometer hoch halten kann. Sein Geheimrezept: polnische Küche in allen Variationen von Barszcz bis Flaki. Gaumenfreuden sind hier ein Stück Heimat. Auch als Rennradler hat er sich Verdienste erworben. Welcher Küchenchef kann schon von sich behaupten, Vizeweltmeister gewesen zu sein.

Vielseitigkeit ist auch die Sache von Kapitän und Elektroniker Kotiuk. Der urige Neu-Bayer aus dem polnischen Zakopane in der Hohen Tatra ist nicht nur passionierter Segler, sondern auch Skiläufer und Bergwanderer. Ganz obenan stehen für den Familienmenschen jedoch Frau Bozena, Tochter und Hund, optisch illustriert per CD beim allabendlichen Brückenklönschnack.

Ganz real dagegen das Bild aus vergangenen Tagen an Backbord: ein „fliegender Holländer“ unter Vollzeug. Im Glutball der untergehenden Sonne zeigt die russische Viermastbark „Sedov“ ihr Takel-Filigran. Und lässt dabei locker zwei Frachter hinter sich. Als einer von ihnen Öl "verliert", informiert Chief mate Jacek umweltbewusst die schwedische Küstenwache.

Strahlend Weisse Nächte

Vor der Festungsinsel Kronstadt rasselt der Anker in den Grund. Seh-Pause. Aus der Stadtsilhouette von Sankt Petersburg löst sich ein schneeweißer Klotz. Beim Näherkommen entpuppt er sich als 50.000-Tonnen-Kreuzfahrer „Crystal Harmony“. Seine Kollegen „Galaxy“ (76.000 tdw), „Noordam“ (34.000 tdw) und „Minerva“ (12.000 tdw) folgen bald darauf wie Hunde an der Leine. Der schmale Seekanal zur zweitgrößten russischen Stadt ist dicht, aber „Werder Bremen“ nimmt die Parade der Luxusliner ab. Zwangsläufig.

Meterhoch die Betonbuchstaben an der Hafeneinfahrt zum russischen Amsterdam und Venedig des Nordens: immer noch LENINGRAD. Ein verrostetes Wrack ragt in die Fahrrinne. Frage an den Lotsen, ob das nicht seine Manöver behindere. Antwort: „Macht nichts, stört ja keinen.“ Ein rosa Schleier legt sich um Mitternacht über Hafen und Stadt. Juni-Helligkeit oder Zeit der Weissen Nächte von Sankt Petersburg. Die Bierrunde auf dem Achterdeck findet nicht in ihre Kojen. Auch weil über den russischen Nachbar-Frachter diskutiert wird. In dessen Laderaum verschwinden mysteriöse Behälter mit radioaktivem Inhalt. "Njet problem", zuckt ein Hafenarbeiter nur mit den Schultern. Hier ist anscheinend "strahlende" Eile geboten. Dafür läuft die Beladung bei uns um so "gemütlicher".

Landgang wird erst am nächsten Morgen genehmigt. Kapitän Kotiuk dirigiert den Wagen des Reederei-Agenten zum Markt-Einkauf. Zander, Hecht, Gurken, Zwiebeln und Dill stehen auf seinem Zettel. „Spottbillig für uns“, ist der Hobby-Koch zufrieden. Profi Andrzej wird ´s an Bord richten.

Mit Straßenbahn – Schaffnerin: „Kostet zehn Rubel ohne, aber zwölf mit Fahrschein“ – und Metro lassen wir trostlose Plattenbautensiedlungen hinter uns. Endstation: die Altstadt an der Newa. Kapitän Kotiuk zeigt sich als perfekter Dolmetscher, Fremdenführer und Kunstsachverständiger in Personalunion.

An der Strelka auf der Basiliusinsel werfen wir symbolisch Münzen ins Wasser: Zum Zeichen, dass wir wiederkommen möchten.

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Infos:

Schiffsdaten: Baujahr: 1999; Bauwerft: Sietas, Hamburg-Neuenfelde; Bau-Nummer: 1124; Serien-Typ: 160 „Open-Top-Containerschiff“; Tonnage: 6371 BRZ, 7114 tdw; Länge: 121 Meter, Breite: 18,20 Meter; Tiefgang: 6,70 Meter; Eisverstärkung: E 3; Maschine: MAN B&W, 5760 kW, 17,5 Knoten; Ladefähigkeit: 700 TEU; Besatzung: 12; Flagge: Malta; Reederei: BELUGA SHIPPING GmbH, Bremen; Charterer: ESF Euro Shipping & Forwarding, Antwerpen.

Passagier-Buchung über: BELUGA SHIPPING GmbH, Schlachte 22, 28195 Bremen, Telefon: 0421/1606025, Fax: 0421/1606040; eMail: BELUGA@BELUNGASHIPPING.DE

Visum: bei den Immigration-Beamten an Bord (drei Tage für 25 US-Dollar) oder vorab über die russische Botschaft bzw. entsprechende Konsulate

Reiseführer: Polglott-Verlag: St. Petersburg

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