Böenwalzen und Salige Fräulein – Eröffnung der 2. Autorentheatertage Berlin im Deutschen Theater mit „Alpsegen“ von Feridun Zaimoglu und Günter Senkel

Auf dem Bild: hinten: Tim Erny, Peter Laib, Michael Tregor, Wiebke Puls; vorne: Jochen Noch, Gundi Ellert, Kristof Van Boven © Julian Röder

Zehn Tage lang wird in allen Räumen des DT gespielt, auch die Schlosserei und die ehemaligen Werkstätten in der Chausseestrasse werden zu Veranstaltungen genutzt. Intendant Ulrich Khuon präsentierte sich mit verhaltenem Stolz bei seiner Eröffnungsrede. Die Vorbereitungen sind geschafft, und der größte Teil der Karten ist bereits verkauft.

Vom 15. bis 25. Juni bietet das Festival 42 Veranstaltungen, darunter 19 Gastspiele von 14 Theatern aus 13 Städten in Deutschland, Österreich und der Schweiz.

Die Auswahl der neuen Stücke, die in der langen Nacht der AutorInnen zu sehen sein werden, lag, wie schon im letzten Jahr, in der Hand einer Ein-Personen-Jury. Diesjährige Jurorin ist die Spiegel-Redakteurin und erfolgreiche Roman-Autorin Elke Schmitter, die sich von den zu entdeckenden AutorInnen Komödien gewünscht hatte. Wie Schmitter erklärte, habe sie sich damit die Auswahl erleichtern wollen, denn das Komische erreiche Menschen unmittelbar oder gar nicht.

Aus 140 Einsendungen wählte die Jurorin nicht nur die vorgesehenen vier Stücke aus, sondern noch ein fünftes, auf das sie nicht hatte verzichten wollen. Dieses fünfte Stück, „Blinde Punkte, Sterne“ von Mathilda Onur wird im Rahmen der Autorentheatertage in einer Lesung präsentiert und zu Beginn der neuen Spielzeit als Uraufführung in der Box zu erleben sein.

In ihrem geistreichen, amüsanten Kurzreferat bei der Eröffnung bewies Elke Schmitter, dass sie sich umfassend mit der Gattung Komödie und den unterschiedlichen Zielsetzungen und Ausdrucksweisen des Humors auseinandergesetzt hat. So kann der Humor, vor allem bei Problembewältigungen, von großem Nutzen sein. Denn, wie Schmitter ausführte, gibt es Probleme, die nur mit Humor erkannt werden können, ebenso Probleme, die nur mit Humor zu lösen sind und schließlich als unlösbar erkannte Probleme, die sich ausschließlich mit Humor ertragen lassen.

So betrachtet, ist das Schattendasein, das die Komödie an deutschen Theatern führt, kaum zu rechtfertigen, und Elke Schmitters kluge und überzeugende Argumentation könnte zu einem Umdenken bei Theatermachern und Publikum führen.

Bei der Auswahl der 17 Gastspiele neuer deutschsprachiger Dramatik haben Christa Müller, Ulrich Khuon und die DT-Dramaturgie die Komödie bereits in erfreulichem Maß berücksichtigt.

„Alpsegen“, ein Stück von Feridun Zaimoglu und Günter Senkel, war die erste Produktion, die im Deutschen Theater zu erleben war. Zweifellos ist das eine Komödie, die auf einer brillanten Idee basiert und von Sebastian Nübling mit dem großartigen Ensemble der Münchner Kammerspiele  hervorragend in Szene gesetzt wurde.

Trotzdem verließen etwa zehn ZuschauerInnen während der Vorstellung das Theater, und zwei, die noch kurz vor Schluss aus ihrer Reihe hinausdrängelten, bekamen von einigen Sitzenbleibenden Applaus. Dieser Schwund war sicher nicht allein auf die Hitze im Zuschauerraum zurückzuführen.

Das Stück nämlich besteht lediglich aus der brillanten Idee, auf der es basiert. Feridun Zaimoglu hatte den Auftrag bekommen, ein Stück über München  zu schreiben. Anstatt etwas über die Schickeria und den Kunstbetrieb zu verfassen, ließen sich Zaimoglu und sein Co-Autor Günter Senkel auf die bayerische Geisterwelt ein.

„Das Wetter schlägt um wir spüren das Heiße und das Kalte, wir sehen die Hiesigen und die Anderen.“ Es spukt kräftig im Stück. Zu den Eingeborenen, denen die Geister vertraut sind, kommen drei Zugereiste: Familienvater Curd, der sich, zu seiner eigenen Überraschung, in den Eisverkäufer Flavio verliebt hat und mit diesem ein Wochenende in einem Gasthof verbringt, und Curds Sohn Max, von seiner Mutter losgeschickt, um den Vater aufzuspüren und nach Hause zu holen.

Flavios Versuche, Curd zu verführen, scheitern kläglich an Curds moralischen Grundsätzen, und Max wird vom Geist der Cecila (Wiebke Puls) in die Irre geführt und schließlich ins Wasser gelockt.

Im Gasthaus deckt die Wirtin (Gundi Ellert) den Tisch für ihren verstorbenen Mann, ihre verstorbene Tochter und für Jesus und ruft mit wedelnden Röcken orgiastisch den Heiland an.

Zu Beginn wallt Nebel über die Bühne, die Geister stürmen heulend und wehklagend heran, stürzen über die Rampe in den Abgrund, erklimmen die Seitenlogen und erscheinen erneut, bis der Nebel sich lichtet und das Gasthaus sichtbar wird. Bühnenbildnerin Muriel Gerstner hat es mit Tischen und Stühlen aus rohem Holz ausgestattet. Graue Samtportieren verleihen dem Raum etwas geheimnisvoll Magisches.

Sebastian Nübling lässt die Geister gemessen und mit heiligem Ernst  agieren. Auch die Stammgäste im Wirtshaus bewegen sich, weil betrunken, zeitverzögert und – selbstverständlich – bierernst. Zwischen den Tischen tappt Peter Laib herum und entlockt seiner Tuba urwüchsige Töne. Diese Breite vermittelt jedoch nicht schwerfällige Unbeholfenheit, sondern etwas Schwebendes. Die Menschen scheinen Teil des Nebels zu sein, wabernd und wallend, und ab und zu bricht auch die Gaudi musikalisch durch.

Die Wirtin ist eine handfeste Person, zugleich aber auch eine Geisterseherin, die voller Furcht, doch auch sensationslüstern und mit Wonneschauern, das Herannahen der armen Seelen verspürt, den fahlen Gimpel (Kristof Van Boven), der ihr auf den Rücken springt und sich an ihr festklammert, aber mit lässiger Überlegenheit abwehrt.

Die beiden Stammgäste (Tim Erny und Michael Tregor), zünftig in Lederhosen und Trachtenjacken (Kostüme Eva-Maria Bauer) erscheinen auch unter den Spukgestalten. Bei starkem Föhn öffnen sich die Grenzen zwischen den Welten.

Die Geister, anfänglich zerlumpt, erscheinen später einheitlich in schwarzen Gewändern mit runden weißen Kragen, tragen weiße Langhaarperücken und sind eindrucksvoll in fluoreszierendes Licht getaucht. Unter ihnen sind auch zwei zauberhafte kleine Geistermädchen, ausgelassen lachend herumspringend.

Nicht nur durch ihre Körperlänge, sondern auch durch ihre wahrhaft gespenstische Bewegungsart alle überragend ist Wiebke Puls als Cecilia, die geheimnisvolle Schöne aus dem Totenreich, deren Verlockung den armen Max in den Untergang treibt.

Im Fremdenzimmer spielt sich die scheiternde Verführung von Curd ab. Während Kristof Van Boven als Flavio komödiantisch mit Worten spielt, sich die Kleider vom Leibe reißt und nackt wie ein Faun um den Familienvater herumspringt, sitzt Jochen Noch als Curd verkrampft in Abwehrhaltung auf dem Rundbett und kriecht mehr und mehr in sich selbst hinein. Von einigen wenigen Gags abgesehen – so sagt Curd einmal: „Ich bin nicht religiös, ich bin katholisch“ – fehlt es hier jedoch, wie überall im Stück, an pointierten Dialogen.

„Ein Erzählstück für die Bühne“ haben die Autoren ihr Stück genannt, in dem sie  ein bisschen drauflos erzählt haben ohne das Erzählte zu einer Geschichte zu verdichten, und einige Passagen erscheinen wie abgeschrieben aus Nachschlagewerken zum Thema Okkultismus.

Regie und Ensemble schlagen aus dieser Inhaltsleere immer wieder Funken. So ist Benny Claessens brillant als von Kopfschmerzen zerrissener, von allen Geistern gehetzter, von der kreischenden Telefonstimme seiner Mutter (Gundi Ellert) geplagter und Cecilia nachjagender Max, wenn er, verbal über Stock und Stein stolpernd, von der Mondhelle und den feurigen Männern berichtet.

Auch Gundi Ellert gelingt es, die Geister lebendig werden zu lassen, von denen sie fasziniert und erschrocken erzählt.

Alle Mitwirkenden sind großartig. An ihnen liegt es nicht, dass es schwer fällt, die mehr als zwei Stunden dauernde Vorstellung durchzustehen.

„Alpsegen“ von Feridoun Zaimoglu und Günter Senkel wurde am 15.04.2011 an den Münchner Kammerspielen uraufgeführt und war im Rahmen der Autorentheatertage am 15.06. im Deutschen Theater Berlin zu erleben.

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