Bio, so rein – BSR testet Zoo-Amöbe in öffentlichem Papierkorb

"Bitte füttern." © Foto: Andreas Hagemoser, 2016
Völlig ungefährlich. Ein Zoosprecher versicherte, die Polizei sei unterrichtet. Nur im unwahrscheinlichen Fall eines Verkehrsunfalls, bei dem sich ein Pkw unter die halbhoch aufgehängten Behälter schöbe, bestehe eine marginale Gefahr, dass das Auto verdaut werden würde. Poller und die Höhe der Aufhängung sollen das aber verhindern.
Ob die neue Biotechnik ein Anschlagsziel sein könne? „Nein, wir hoffen ja selbst, dass die Idee wie eine Bombe einschlägt.“ Und die Frage der Sicherheit? Was, wenn der Behälter von ISIS gestohlen würde? „Im schlimmsten Fall würden dann deren Waffen und Materialien zersetzt, zudem bei den dort höheren Temperaturen. Aus unserer Sicht nicht wirklich ein Grund zur Sorge.“
Drei Vorteile
Der Papierkorb muss nicht mehr angefahren werden. Das bedingt dreierlei Ersparnis: bei den Kosten für den Treibstoff der BSR-LKW, der Arbeitszeit der Mitarbeiter und – bei einer größeren Stückzahl der Laternenmülleimer – auch einer Einsparung ganzer Fahrzeuge.
Da die „Wunder-Amöbe“ für lau arbeitet, könnte die BSR als Anstalt des öffentlichen Rechts des Landes Berlin und letztlich auch der Stadtstaat auf die Dauer ganz erhebliche Einsparungen erzielen. Das hochverschuldete Bundesland hat das dringend nötig, werden doch Sozialleistungen und Hauptstadtaufgaben nur noch erbracht, weil Länderfinanzausgleich und Stadtstaatenprivileg dies ermöglichen. Eine Schwarze Null nicht nur bei den jährlichen Einnahmen, sondern auch bei der zurzeit Zig Milliarden Euro betragenden Gesamtschuldenlast ist nicht nur erstrebenswert, sondern dringend erforderlich und mittelfristig alternativlos.
Denn alternative Währungen allein können die Stadt auf die Dauer nicht retten. Ob nun ausgerechnet das „Wundertier vom Bahnhof Zoo“ – bei Insidern auch Christiane S. (= Ess!) genannt – solche Einsparungen triggern kann, ist so offen wie der Mülleimer selbst. Immerhin sollen bei einem erfolgreichen Test die Behälter zunächst in Charlottenburg und dann im ganzen Stadtgebiet eingeführt werden. Dabei werden die bereits vorhandenen Behälter einfach leicht modifiziert.
Auch bei der Hausmüllbeseitigung und bei einem Export des multibacter berlinensis sieht die BSR informierten Kreisen zufolge Potential. Die Leitung der BSR war wegen der Osterpause nicht für eine aktuelle Stellungnahme zu diesem Thema zu erreichen.
Die Werbeagentur der BSR, die im vergangenen Jahrzehnt das Schmuddel-Image der Stadtreinigung hinwegfegte, soll dem Vernehmen nach bereits neue Sprüche auf Lager haben. „Mehrzeller für Zehlendorf“, „Wimmeln für Wilmersdorf“, „Mikroben-Hochzeit inside“ (für Wedding). In Tempelhof soll es heißen: „Ein Tempel der Reinlichkeit.“ „Einfach weggebritzelt“ und „Marzahn der Zeit – nie mehr leeren“ sind im Gespräch. In Flughafennähe: „Guter Egel für Tegel.“ 
Sogar ein Umdenken für die BSR als „Biologische Stadtreinigung“ wird erwogen.
Wir verdanken diese Anwendung wissenschaftlicher Erkenntnisse im Kern Jo Z. Schmitt-Alwisser, einem Nerd mit amerikanisch-deutschen Wurzeln, der Sympathien zur Punkszene der 70er und Bands wie „Anvil“ hegt. Seine Großeltern sind ein hochrangiger kanadischer Vertreter an der Militärmission und eine Westberlinerin aus dem Fräuleinwunder. Halb widerwillig, halb mit leichter Hand begann er ein Studium der Biochemie, das er eigentlich dabei war „hinzuschmeißen.“ Die Gelegenheit zum Postgraduate-Auslandsstudium an der FU und die Aussicht, dabei Abstand von seinen Eltern zu gewinnen, gab den Ausschlag zum Dabeibleiben. Bei den Berliner Partys dabei sein, die am Freitagabend beginnen und Sonntag enden. Berliner Freiheit.
Protest und Potest
Das Genie Schmitt-Alwisser musste sich also für die Doktorarbeit etwas neues ausdenken. Der junge Forscher, der „sozialen Netzwerken“ nicht ins Netz geht, hatte seinen Magister über die „Arbeitsökonomie des Faultiers und seine biochemischen Voraussetzungen im Kontext seines Heimatbiotops“ geschrieben.
Seitdem wir das Faultier in dem Zeichentrickfilm „Zoomania“ gesehen haben, der zur Zeit im Zoo-Palast läuft, können wir uns etwas darunter vorstellen. Das Lachen bleibt weder uns noch dem Faultier im Halse stecken, aber während die Häschen-Politesse nach einem kurzen Lächeln gleich zur nächsten Aufgabe weiterhoppeln will, nimmt sich das Faul-Tier für jeden Lacher viel Z-e-i-t. Es kostet eben alles aus und genießt es.
Schmitt-Alwisser gibt zu, dass das Tier für ihn ein Vorbild ist, zumindest in Hinsicht auf die Wirtschaftlichkeit. Keine Energie vertun. Alle notwendigen Hausaufgaben erledigte er schneller als Speedy Gonzales, um die gewonnene Zeit nur in die Erfoschung von Phänomenen wie der Fäule zu stecken, die andere eher abstoßen.
Zunächst war das ungefähre Thema der Dissertation, die Untersuchung exotischer animalischer Hinterlassenschaften, eine Mischung aus jugendlichem Protest und Schnapsidee.
Es war, genau wie bei der Entdeckung des Penicillins, eher Zufall, als er „Löwen-, Elefanten- und Affenscheiße“ sowie deren Kombination untersuchte und am Ende des Arbeitstages die Gummihandschuhe in einen Abfalleimer warf, der nie voll wurde. Ohne darauf achtzugeben, nahm er an, dass der Papierkorb im Labor, genau wie in Kanada, ständig geleert würde, bis er nebenbei bei einem Kantinengespräch erfuhr, dass er die Körbe selbst hinauszubringen habe.
Nun war sein Interesse geweckt. Im Rahmen seines Forschungsprojektes hatte er die Exkremente vieler Wildtiere – der Berliner Zoo gilt als artenreichster der Welt – untersucht, die ungewollt oft auch vermischt waren. Der Schlüssel zum Müllverschwinden lag offenbar – ähnlich wie bei einem Safe – in der Kombination; dem „Code“. 
Schon bei Teruo Higas „effektiven Mikroorganismen“ kam es auf die Kombination an, von Hefebakterien, Photosynthese- und anderen Mikroorganismen.
Es lang nur noch einige Zeit der Forschung vor Schmitt-Alwisser, bis er unbeteiligte Mikroben ausschließen konnte und die richtigen Kombis entdeckte. Unverzichtbar soll unter anderem der Affenkot sein. Alte indische Schriften warnten davor, menschliche Exkremente mit frischem Wasser zu vermischen, da sonst Umwelt und Kultur darniederlägen. Das ist bekannt und das Ergebnis sehen wir heute.
Eine geruch- und geschmacklose Lebensformmischung aber, die Müll ungefährlich beseitigt, hat auch einen wirtschaftlichen Nutzen. Hier trat der einstige Eigenbetrieb BSR auf den Plan. 
Die Berliner Stadtreinigungsbetriebe war 2016 erneut zum besten Arbeitgeber im Bereich Rohstoffe, Energie, Ver- und Entsorgung gewählt worden und streben stets nach Verbesserungen. Bevor die Mikrobenmischung flächendeckend in Restmülltonnen eingesetzt werden können wird, soll ein letzter Freilandtest erfolgen, der am offiziell am 1.4. begann. Die Tonne wurde aber bereits einige Tage vorher aufgehängt und innen mit den für das menschliche Auge nicht sichtbaren und völlig ungefährlichen Mikroben bestückt. Zum Glück für den Menschen sind die Mikroorganismen sehr „heimatbewusst“ und bleiben in ihrem Biotop, solange sie genug Nahrung erhalten; bei dem Berliner Müllaufkommen kein Problem. Der Behälter ist nun der erste, der nie mehr geleert, sondern nur gelegentlich überwacht werden muss. 
Irgendwann hätten natürlich auch die Müllbehälter selbst zersetzt werden können und die Organismen, ähnlich wie bei einer in Fukushima befürchteten Kernschmelze sich durch das Material in den Boden fressen können. Der Trick ist der Anstrich, der nun außen und innen in den Behältern erfolgt. Orange Objekte werden von den Mikroben sowieso immer als letztes vertilgt, was an der Wellenlänge des abgestrahlten Lichtes liegt. Optimale Voraussetzungen also. 
Irgendwann wird Berlin vielleicht ja in die Fußstapfen der „Plastic-free Island“ Kefalonia treten. Vielleicht tun sich für plastikfreie „Inseln“ allerorten bald ganz neue Horizonte auf.
Wir wünschen der Sanierung des Berliner Haushaltes mit Müllbehältern, die nie mehr geleert werden müssen, viel Erfolg.
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