Beethovenfries zu delikaten Delikatessen – Serie: Ausstellungen von Gustav Klimt, Josef Hoffmann und Oswald Oberhuber in der Stadt Balingen (Teil 2/3)

Gustav Klimt: Stehender Mädchenakt mit vornüber gebeugtem Körper, um 1900. Schwarze Kreide

Klimt ging also durchaus ökonomisch vor, in dem er bestimmte Typen mehrfach verwendete. Aber auch den umgekehrten Prozeß kann man betrachten. Viele der Zeichnungen stehen einfach für sich, sind im Moment geboren und nie zweckgebunden ein andermal ausgeführt worden. „Klimt zeichnete täglich viele Stunden, so wie ein Virtuose Skalen übt”¦Immer warteten mehrere Modelle im Vorraum, damit ihm kontinuierlich und abwechselnd Vorlagen zu den unendlichen Variationen des Themas „Frau“ zur Verfügung standen.“, schreibt Berta Zuckerkandl.

Wer aber Berta Zuckerkandl war, weiß kaum ein Ausstellungsbesucher und die Bezeichnung „Wiener Kunstkritikerin um 1900“ macht die Leute auch nicht schlauer. Um dieses Netzwerk, namens Wien, deutlich werden zu lassen, wäre es sinnvoll gewesen, eine kurze Notiz über den Wiener Salon der Berta Zuckerkandl hinzuzufügen, in dem sich im Jahr 1901 beispielsweise Alma Schindler und Gustav Mahler kennenlernten und wo jeder, erst recht jeder fortschrittliche Künstler sich sehen ließ. Von der französischen Verwandtschaft schweigen wir jetzt, obwohl man sich wundert, daß diese Mischung aus Politik und Schöngeisterei sowie Kunst nicht öfter Thema ist.

Das Zuckerkandlzitat ist aber aus einem anderen Grund aktuell. Gerade erst anläßlich der Heimkehr von Egon Schieles „Wally“ nach Wien – vergleiche Link – ist die Vermutung geäußert worden, Wally habe auch mehr als das bekannte eine Mal Gustav Klimt Modell gestanden. Zu den von Zuckerkandl aufgeführten Modellen kann man sich also auch Wally hinzudenken, was um so wahrscheinlicher ist, als Wally privat in der Feldmühlgasse in Wien Hietzing ihre Wohnung hatte, wo in der Nummer 11 Klimt sein Atelier hatte. Auf jeden Fall haben all die Modelle Klimt zu vielen Akten verholfen, wo man sich in der Bürgerstadt Balingen dann doch umsieht, welche Wirkung die vor über hundert Jahren geschaffenen Aktzeichnungen an der Wand ausüben.

Entweder keine oder die Leute nehmen sich sehr zusammen, das alles für normal zu halten, was Gustav Klimt so wie Egon Schiele den Ruf des Amoralischen eingebracht hatte, wo beide die Lust an der Linie, die Lust am Fleisch allein auf dem Papier ausließen. „Sitzender Halbakt mit aufgestelltem Bein aus dem Jahr 1908 ist eine Studie für Judith II (Salome) und zeigt uns nachsichtig den Schenkel, diesmal nicht horizontal, sondern fast vertikal. Die Sitzende hat das linke Bein an die Brust gezogen und mit den Armen umschlossen und das rechte gewinkelt liegen lassen. Ihre Scham liegt so genau in unserem Blickfeld und wird schwarz schraffiert besonders deutlich. Die hochhakigen Schuhe verweisen auf das „Halbseidene“, denn es ist viel nacktes Fleisch zu sehen, der linke Hemdträger ist schon gefallen und der rechte hält notdürftig das Hemd.

Dagegen ist der „Sitzende weibliche Halbakt von vorne“ von 1909/10 zwar sehr offenherzig, aber auch ohne Geheimnis, denn, wenn man alles sehen kann, verliert sich die Spannung. Und dennoch: Gerade hier bleiben die Leute besonders lange stehen. Wie mag das heutige Publikum wirklich darüber denken, über diese Zeichnung, die dazumal als "unanständig" noch als harmloseste abfällige Vokabel bezeichnet wurde. "Schweinereien" waren das und riefen die Proteste der bürgerlichen Welt hervor.

Der „Liegende Halbakt nach rechts“ aus dem Jahr 1914/15 dagegen ist ein atypische Variante des nahsichtigen Schenkels, über den in einer Wiener Ausstellung sehr viel seit Michelangelo zu erfahren ist, auch hier vgl. Link. Die Bleistiftzeichnung zeigt eine Frau, die sich selbst befriedigt, in einer merkwürdigen Stellung, die eher dem Voyeur dient als dem Vorgang. Das rechte Bein aufgestellt, den Fuß der Linken quer hinüber auf das rechte Knie gestützt, liegt sie offen vor uns, ihre Rechte in ihrer Scham, die Augen allerdings zu und total entspannt auch. Das wäre doch eher eine Stellung für „nachher“.

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Ausstellung: bis 26. September 2010

Die Kataloge zu den Ausstellungen sind alle im Jahr 2010 im Verlag Hirmer erschienen:

Gustav Klimt, Beethovenfries. Zeichnungen, hrsg. von Annette Vogel Der Katalog führt nicht nur alle in der Stadthalle gezeigten Werke auf, sondern gibt vor allem erst einmal einen Überblick über die Situation in Wien, aus der heraus die Secession geschaffen wurde, in der dann zum Beethovenfest vom April bis Juni 1902 die spektakuläre Beethoven-Skulptur von Max Klinger erstmals öffentlich zu sehen war und in Verbindung mit dem Beethovenfries den Komponisten im Kontext mit der 9. Symphonie zu einer olympischen Gottheit machten. Das ist ein feines Buch, das auch den Maler und Mensch Gustav Klimt angemessen würdigt.

Josef Hoffmann, Ein unaufhörlicher Prozess. Entwürfe vom Jugendstil zur Moderne, hrsg. von der Stadthalle Balingen und Peter Noever, MAK Wien, betont auch im Katalog, daß es sich um eine Ausstellung des MAK Wien handelt. Das ist gut so, denn in Wien lagern in den Depots nicht nur die vielen Zeichnungen, Entwürfe, fertigstellten Produktionen von Hoffmann, sondern die vieler weiterer. Im Katalog wird entwickelt, wie der Architekt Hoffmann zu der Idee seiner Zeit, das Gesamtkunstwerk kam, demzufolge er auch für die Inneneinrichtung der Secession verantwortlich war. Zwar bleibt der Katalog wie die Ausstellung auf Entwürfe und einige Ausführungen, Bestecke, Vasen, Stühle etc. beschränkt, aber desto mehr ergibt es eine gemeinsame Linie, die durch eine ausführliche Biographie ihren Rahmen erhält.

Oswald Oberhuber, Raum und Linie, hrsg. von Stadthalle Balingen, ist ein in Schwarz Weiß besonders schön gestalteter Katalog, der inhaltlich an Klimt und Hoffmann anknüpft und sich in den Kontext der permanenten Moderne stellt. Auch dies wäre ohne das MAK Wien nicht gelungen, aus deren Bestand die Bleistift- und Ölkreideblätter kommen.

Alle drei Kataloge zusammen, ergeben – wie die Ausstellungen – einen so umfassenden wie differenten Eindruck von der Wiener Moderne. Eben so, wie sie war.

www.stadthalle.balingen.de

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