Anna Karenina (Großbritannien/Frankreich, 2012) – Visuell überwältigende Verfilmung des Tolstoi Klassikers

Russland Ende des 19. Jahrhunderts, Anna Karenina (Keira Knightley), eine junge und lebenslustige Frau, scheint zufrieden in ihrer unaufgeregten Ehe mit dem hochrangigen Staatsbeamten Karenin (Jude Law). Als sie dem attraktiven Kavallerie-Offizier Wronskij (Aaron Taylor-Johnson) begegnet, beginnt sie eine leidenschaftliche aber tragische Affäre. Wronskij und Anna brechen nicht nur Karenins Herz, sondern auch das von Kitty, der jungen Schwester von Annas Schwägerin, die verliebt in Wronskij, den sensiblen Großgrundbesitzer Levin (Domhnall Gleeson) abweist. Jedoch ist Anna nicht auf Verzicht bereit, sie will alles: Wronskij und den hohen gesellschaftlichen Status, den sie nicht zuletzt durch ihre Ehe hatte. Damit bricht sie jedoch die Spielregeln der russischen Gesellschaft und besiegelt ihr unglückliches Schicksal.

Anna Karenina ist nicht einfach nur ein simpler Liebesroman, denn neben großen Gefühlen, Eifersucht, Treue und Glaube geht es auch um die Scheinheiligkeit einer Gesellschaft, die sich am französischen Vorbild orientiert, im Herzen jedoch zutiefst russisch ist, und um den Kontrast zwischen dem ländlichen und dem städtischen Leben. Diese Vielschichtigkeit auf Film zu bannen ist kein leichtes Unterfangen und es ist schon eine Leistung (fast) alles in knapp über zwei Stunden Laufzeit zu stecken. Etwas geht aber immer verloren und hier ist es das Mitgefühl für die Charaktere, denn bis auf wenige Szenen bleibt man emotional relativ unberührt. Es fällt jedoch schwer mit dem Finger auf einen der vielen Beteiligten zu zeigen. Tom Stoppard gelang es nicht nur die Geschichte von Anna und Wronskij, sondern auch die von Kitty und Levin aus dem komplexen Gesamtgefüge zu befreien und elegant auf Papier zu bannen. Das Ensemble der Schauspieler liefert eine durchgehend gute Leistung ab, wobei Jude Laws Darstellung besonders heraussticht. Der Frauenschwarm überzeugt als kalter Fisch, dessen wahre Gefühle in seltenen Momenten zu erahnen sind. Es ist da nur zu verständlich, dass Anna den großen blauen Augen von Taylor-Johnson verfällt.

Die grandioseste Leistung ist die Regie von Joe Wright, allerdings stellt sie auch gleichzeitig alles und jeden in den Schatten. Anna Karenina ist natürlich ein opulenter Kostümfilm, aber Wright geht noch weiter. Er zeigt uns direkt zu Anfang unseren Platz, nämlich im Rang und in der Loge, sowie die Bühne, die hier die Welt bedeutet. Selbst der Raum oberhalb und hinter ihr wird als Schauplatz genutzt. Kulissenwechsel werden nicht vorenthalten sondern fließend in das Bild und die Handlung integriert. Fließend, wie im Ballett, sind auch die Bewegungen und Übergänge, z.B. wird der Spielzeugzug zum echten Zug, aber auch die Akteure bewegen sich tänzerisch leicht. Gerade anfangs kommt man aus dem Staunen nicht heraus.

Seit fast 80 Jahren gilt Greta Garbo als die Verkörperung Anna Kareninas schlechthin. Daran kann auch Keira Knightley nichts ändern, aber Joe Wrights gewagte, fließend elegante Regie und die sich daraus ergebenden überwältigenden Bilder sind Grund genug sich noch einmal auf einen Klassiker einzulassen, der schon ein bisschen Staub angesetzt hat. Anna Karenina ist ein optischer Genuss, der aber im Gegensatz zu Wrights Abbitte das Make-Up nicht ruinieren wird.

* * *

Anna Karenina (Großbritannien/Frankreich, 2012); Verleih: Universal Pictures International Germany; Filmlänge:  129 min; Regisseur: Joe Wright; Drehbuch: Tom Stoppard; Darsteller: Keira Knightley; Jude Law; Aaron Taylor-Johnson; Matthew Macfadyen; Domhnall Gleeson; FSK: ab 12 Jahren; Kinostart: 6. Dezember 2012 (Deutschland).

Vorheriger ArtikelPanzer vor Präsidentenpalast in Kairo
Nächster ArtikelDer „Strich acht“ ist zum Kult-Daimler geworden